In "Die Markierung" erzählt die isländische Autorin Fríða Ísberg von der jungen Lehrerin Vetur und von einer gespaltenen Gesellschaft, in der es nur zwei Positionen gibt: dafür oder dagegen. In einem Volksentscheid soll es um eine sogenannte Markierungspflicht gehen. Die soll die Menschen in zwei Kategorien einteilen.
Zu Hause fühlt sich Vetur nicht sicher. Sie hat ständig das Gefühl, dass jemand versucht hereinzukommen. Mit jemand meint sie Daníel. Er darf sich ihr zwar bis auf zweihundert Meter nicht nähern – ob er sich daran hält, ist die andere Frage.
Vetur träumt von ihm. Dann steht er nachts im Halbdunkel neben ihrem Bett. Wenn ihr Haus markiert wäre, würde sie sich sicherer fühlen. Dafür braucht es aber die Zusage aller Mieter*innen im Haus. Sie versteht, dass das nicht funktioniert. Sie weiß auch, wie viel Druck hinter einer Markierung steht und was sie anrichten kann, wenn man sie nicht bekommt. Sie kennt die Studien und Statistiken. Sie kennt die Suizidrate unter jungen Menschen.
Segen oder Gefahr
Ihre Schüler*innen wissen mittlerweile auch, was das sogenannte Einfühlungsgutachten eigentlich ist. Sie wissen, dass sich dahinter der Empathietest versteckt, der über eine Markierung entscheidet. Der sie als gesund oder krank kennzeichnet, als integer oder zwielichtig, als Segen für die Gesellschaft – oder als potenzielle Gefahr.
"Was in 'Die Markierung' geschildert wird, will man nicht. Und doch klingt es nicht abwegig."
In ihrem Romandebüt "Die Markierung" erschafft Schriftstellerin Fríða Ísberg eine Dystopie, die nicht abwegig erscheint. Darin geht es um die Lehrerin Vetur und ihre Ängste. Es geht um ihr Ringen um Sicherheit und Freiheit. Ein anstehender Volksentscheid in Island soll über eine mögliche Markierungspflicht entscheiden. Die einen sind dafür, die anderen dagegen. Ein Dazwischen gibt es nicht.
In ihrem Roman geht Fríða Ísberg der Frage nach, was wir bereit wären zu akzeptieren, bestünde die Möglichkeit, dass nur Menschen politische Macht erhielten, die nachweislich gut sind, die nicht nur sich selbst profilieren, sondern wirklich etwas für die Menschen erreichen wollen. Würden wir das wollen? Und würden wir einen solchen Empathietest bestehen?
Das Buch
"Die Markierung" (Originaltitel: "Merking", 2021) von Fríða Ísberg, aus dem Isländischen übersetzt von Tina Flecken, Hoffmann und Campe, 283 Seiten, Hardcover: 23 Euro, E-Book: 15 Euro. Erscheinungstermin: 03.09.2022