Die Gefahr eines Krieges zwischen Israel, der Hisbollah und dem Libanon steigt. Tariq und Najib leben in Beirut. Während der eine überlegt, das Land zu verlassen, ist der andere nicht bereit aufzugeben, was er sich bisher aufgebaut hat.
Seit Beginn des Gaza-Kriegs beschießen sich Israel und die Hisbollah im Libanon immer wieder gegenseitig mit Raketen. Erst kürzlich wurden auf den von Israel besetzten Golanhöhen zwölf Kinder und Jugendliche von so einer Rakete getötet, als die gerade Fußball gespielt haben. Dafür machte Israel die Hisbollah verantwortlich.
Für Tariq, der in der libanesischen Hauptstadt Beirut lebt, war klar: Irgendwann würde der Gegenschlag aus Israel kommen. Und der kam, als er gerade mit seinem Hund spazieren war.
"Ich habe gemerkt da ist eine Drohne, die schwebte etwas niedrig über Beirut und normalerweise, wenn so eine Drohne ein bisschen niedriger fliegt, dann heißt es, es wird einen Treffer geben."
Tariq sagt, dass Beirut nach diesem Angriff leer war: "Alles hatte geschlossen, man konnte nirgendwo mehr etwas einkaufen." Bei dem Vorfall sollen vier Menschen gestorben und über 80 zum Teil schwer verletzt worden sein. Wie gehen aber die Menschen im Libanon mit dieser ständigen Kriegsgefahr um?
Tariq erzählt, dass es unter diesen Umständen schwierig ist, als junge Person im Libanon an die Zukunft zu denken: "Die Angst ist überwältigend. Eine ganze Generation redet nur über Drohnen, über Krieg, statt über Kunst zu reden, über ihr Leben, übers Arbeiten."
Schwierige Zukunftsplanung für junge Menschen im Libanon
"Wir reden darüber, wie wir in diesem Land sicher sein können, welcher Ort der sicherste im Libanon gerade ist. Wie wir Libanon verlassen können."
Aus diesem Grund denkt Tariq auch darüber nach, seine Heimat zu verlassen. Denn ihn erinnert die aktuelle Situation an die im Jahr 2006, als im Libanon Krieg zwischen der Hisbollah und Israel ausgebrochen war.
Tariq erklärt, dass es damals auch mit Provokationen beider Seiten angefangen hat: "Erst hat die Hisbollah Israel provoziert und dann umgekehrt. Und dann plötzlich gab es Krieg in ganz Libanon. Ich glaube, das gleiche wird diesmal auch passieren. Aber diesmal betrifft es nicht nur den Libanon, sondern die ganze Region Syrien, Irak, Iran, Libanon." Tariqs Befürchtung ist auch, dass der Krieg diesmal sogar länger andauern könnte.
Erfahrung mit dem Krieg
Auch Najib lebt in Beirut. Seine Familie ist aus dem Süden des Libanon und seine Eltern leben dort in einer größeren Stadt. Trotz der jüngsten Ereignisse will seine Familie den Süden des Landes nicht verlassen.
"Wir haben schon viel Schlimmeres erlebt. Selbst 2006 als F-16-Kampfjets gerade mal 500 Meter von unserem Haus Bomben geworfen haben, sind wir im Haus geblieben."
Najib erklärt, dass seine Familie inzwischen Erfahrung mit solchen Angriffen hat: "Wir wissen, was wahrscheinlich getroffen wird und was nicht."
Trotz Kriegsgefahr: Tiefe Verbundenheit zum Libanon
Dazu kommt: Najibs Familie ist im Süden des Landes stark verwurzelt. Das Haus seiner Großeltern liegt zwar in einem sehr umkämpften Gebiet in der Nähe der israelischen Grenze. Trotzdem hat er nach wie vor eine ganz besondere Beziehung zu diesem Haus: "Das ist ein altes Familienhaus. Wir haben viel Mühe und Zeit und Geld reingesteckt, um es schon zweimal wieder aufzubauen, nach den Kriegen im Jahr 2000 und 2006. Und wenn es wieder zerbombt wird, dann werden wir es wieder aufbauen."
Najib sagt, er will sich sein Leben nicht vom Krieg und von Konflikten bestimmen lassen und von einem Ort zum nächsten fliehen. Tariq dagegen kann sich schon vorstellen wegzugehen.
Auch Stella Männer kennt die Situation im Libanon. Sie arbeitet dort seit ungefähr dreieinhalb Jahren als freie Nahost-Korrespondentin und lebt in Beirut. Zurzeit ist sie zu Besuch in Deutschland. Ihr bereitet die aktuelle Lage im Libanon Sorgen, weil sie viele Freunde vor Ort hat.
"Jetzt so weit weg zu sein von denen, während die Gefahr wieder da ist, dass ein Krieg im Libanon größer werden könnte, macht mir natürlich Sorge."
Stella würde gerne wieder zurück in den Libanon. Sie berichtet aber jetzt notgedrungen von Deutschland aus. Ihrer Einschätzung nach findet der Konflikt im Libanon eher im Verborgenen statt: "Es ist jetzt nicht so, dass man da überall große Panzer von der Hisbollah rumfahren sieht. Es ist eher so, dass die Hisbollah-Kämpfer in einzelne Dörfer fahren, dort Startrampen für Raketen deponieren, sie von dort aus losschießen und dann auch wieder verschwinden und ihre Positionen immer wieder verändern."
Hisbollah stark im Südlibanon
Dass vor allem der Südlibanon betroffen ist, hat aus Sicht der Korrespondentin geopolitische Gründe: "Weil es dort diese Nähe zu Israel gibt. Aber auch, weil sie sich dort stark etablieren konnten, weil der Südlibanon schonmal von Israel besetzt war. Und deswegen können sie sich dort vor den Menschen vor Ort auch so ein bisschen als die Beschützer inszenieren."
"Die Hisbollah hat im Südlibanon einen höheren Rückhalt in der Bevölkerung als in anderen Teilen vom Libanon."
Iran unterstützt Hisbollah auf verschiedenen Ebenen
Stella Männer sagt, dass der Iran eine zentrale Rolle in diesem Konflikt spielt und sehr wichtig für die Hisbollah ist. Sie erhält nämlich auf verschiedenen Ebenen iranische Unterstützung: "Zum einen gibt es die ideologische Unterstützung. Das iranische Regime versucht mit der Hisbollah den sogenannten Geist der islamistischen Revolution in den Libanon zu exportieren. Das sieht dann so aus, dass ganz konkret der Iran Hisbollah-Kämpfer ausbildet." Noch entscheidender sei aber die finanzielle und politische Unterstützung. Der Iran schicke sehr viel Geld und Waffen in den Libanon.
Die Hisbollah und ihre Geldquellen
Die Korrespondentin nennt aber auch andere finanzielle Quellen der Hisbollah, etwa Geldwäsche. Auch sei sie in den Schmuggel von Drogen, Tabak und Diamanten verwickelt. "Und sie profitiert auch von der Finanzkrise, die im Moment sehr stark im Libanon ist, indem sie zum Beispiel Kredite für Menschen bereitstellt, die finanziell in eine Notlage geraten sind."
Kommt es zu neuem Krieg oder nicht?
Stella Männer sieht auf jeden Fall die Gefahr eines neuen Krieges in der Region – auch aufgrund der jüngsten Ereignisse: "Wir haben einmal die Tötung von Ismail Haniyeh, dem Hamas-Führer im Iran. Und dann haben wir die Tötung von Fuad Shukr, dem Hisbollah-Kommandanten in Beirut. Und das heißt, dass wir zwei verschiedene Ereignisse beobachten müssen, bei denen eine Reaktion aussteht."
Je nachdem, ob es zu einem Rückschlag kommt, werde sich entscheiden, ob es diesen großen Krieg gibt oder nicht, so die Korrespondentin.
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