Wenn Tierarten wieder auftauchen, die als ausgestorben galten, ist das für die Wissenschaft meistens eine Sensation. Für die Arten ist es manchmal nur eine Rückkehr auf Zeit. Aussterben können sie immer noch.
Als der vietnamesische Maushirsch im November 2019 in eine Fotofalle in der Nähe der Küstenstadt Nha Trang tappte, war das eine Sensation für die Forschungswelt. Denn das kleine Tier, das zur Familie der Hirschferkel gehört, galt seit 28 Jahren offiziell als ausgestorben.
Wenn das passiert, wird vom Lazarus-Effekt gesprochen. Ein Phänomen, das seinen Namen aus einer Geschichte des Johannesevangeliums hat, ihr zufolge erweckt Jesus den gestorbenen Lazarus wieder zum Leben.
Immer wieder tauchen einzelne Tiere ausgestorben geglaubter Arten wieder auf. Das reicht meistens leider trotzdem nicht aus, um eine Tierart endgültig vor dem Wiederaussterben zu retten, sagt der Biologe Mario Ludwig.
60 Jahre bis zur Wiederentdeckung
Bei wie vielen Tieren der Lazarus-Effekt in den letzten Jahren auftrat, haben Forschende der Universität von Singapur festgehalten: Bis ins Jahr 2011 wurden 351 Arten, die als ausgestorben galten, wiederentdeckt.
"In den letzten Jahren sind zumindest 351 Arten, die als ausgestorben galten, wiederentdeckt worden."
Insgesamt waren es 103 Säugetierarten, 144 Vogelarten und 104 Amphibienarten. Die Forschenden fanden außerdem heraus, dass zwischen dem Aussterben und dem Wiederentdecken einer Art im Schnitt 60 Jahre liegen.
Fast alle der Lazarus-Arten leben in sehr abgelegenen Gegenden, wie zum Beispiel im tropischen Regenwald oder in einem entlegenen Hochtal in den neuseeländischen Alpen. Dort wurden beispielsweise 400 Takahe-Exemplare wiederentdeckt.
Die aufwendige Rettung der Takahes
Der Takahe ist ein gänsegroßer, flugunfähiger Vogel, der im 19. Jahrhundert in Neuseeland weit verbreitet war. Doch dann kamen die Europäer, brachten Fressfeinde wie Wiesel und Ratten mit und zerstörten seinen natürlichen Lebensraum. Ohne Flügel konnte sich der Takahe nur schwer verteidigen oder fliehen und galt deshalb seit 1894 als ausgestorben – bis im Jahr 1948 etwa 400 Takahes wiederentdeckt wurden.
Doch auch diese letzten 400 Tiere waren immer noch stark durch Fressfeinde bedroht, so dass 1982 nur noch 118 Tiere übrig waren. Da griffen die Naturschutzbehörden aktiv ein, um den Vogel vor dem Aussterben zu retten.
Fressfeinde wurden konsequent abgeschossen
Um das zu schaffen, haben die Behörden alle Feinde des Takahes gejagt. Das von den Europäern eingeschleppte Rotwild und auch Raubtiere wie der ebenfalls eingeschleppte Hermelin wurden konsequent abgeschossen. Gleichzeitig wurden in Zoos neue Takahes nachgezüchtet, so dass es heute wieder rund 400 Exemplare gibt.
500 Tiere braucht eine Art
Ob die 400 Exemplare jedoch ausreichen, um den Takahe endgültig zu retten, ist nicht klar. Denn viele Fachleute gehen davon aus, dass es mindestens 500 Individuen brauche, damit sich eine Art langfristig behaupten könne, sagt Mario Ludwig.
Ein Wiederfinden einer Art heißt also nicht gleichzeitig, dass sie gerettet ist, auch, wenn es bei der Menge an jährlich aussterbenden Arten erstmal eine gute Nachricht zu sein scheint.
"Dass man eine vermeintlich ausgestorbene Art wiederentdeckt, ist zwar erfreulich, heißt aber nicht, dass diese Art jetzt endgültig gerettet ist."
Denn da oft nur wenige Exemplare einer Tierart in einem kleinen Gebiet entdeckt werden, bedeute das auch, dass der Genpool dieser Art, also die Gesamtheit der Erbanlagen, relativ klein ist, sagt Mario Ludwig. Durch den Verlust der genetischen Vielfalt kann es dazu kommen, dass sich viele neue und alte Krankheiten sehr schnell verbreiten. Was wiederum bedeute, dass diese Art immer noch ganz massiv vom Aussterben bedroht sei.
Anhaltspunkte für die Evolutionsforschung
Für die Forschung sind wiederentdeckte Tierarten grundsätzlich kein großer Mehrwert. Es gibt jedoch Ausnahmen wie die Entdeckung des Quastenflossers. Der urtümliche Fisch galt seit 70 Millionen Jahren als ausgestorben bis er 1938 vor der südafrikanischen Küste wiederentdeckt wurde.
Dabei nahmen Forschende zunächst an, dass das lebende Fossil ein Brückentier, also ein Bindeglied zwischen den Fischen und den ersten primitiven Landwirbeltieren sei. Das wäre eine große Sensation in der Evolutionsforschung gewesen. Neue molekularbiologische Untersuchungen zeigen jedoch, dass der Quastenflosser eher ein Seitenast der Evolution und kein direkter Vorfahre der Landwirbeltiere ist. Die stammen nach heutigem Wissen von den Lungenfischen ab.