Nach der Landtagswahl in Thüringen steht Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) vor einer schwierigen Aufgabe. Zwar ist seine Partei mit Abstand die stärkste Kraft im Land. Doch für die bisherige Koalition unter Rot-Rot-Grün reicht es nicht. "Wir müssen uns wohl in Thüringen von den üblichen Modellen verabschieden", meint unser Korrespondent Henry Bernhard.
Die Menschen in Thüringen haben gewählt. Ministerpräsident Bodo Ramelow fällt die Aufgabe zu, eine neue Regierung zu bilden. Doch alle möglichen Konstellationen scheinen vorerst unrealistisch: Die CDU ist eigentlich kein Wunsch-Kandidat für Ramelow, die FDP möchte nicht mit der Linken koalieren. Die Liberalen wären aber nötig für ein mehrheitliches Bündnis aus Linken, SPD, Grünen und FDP.
Manche wählen AfD wegen, manche trotz Björn Höcke
Ein Grund, warum es so schwierig wird in Thüringen, ist das starke Abschneiden der AfD mit über 23 Prozent. Deutschlandfunk-Landeskorrespondent Henry Bernhard sagt, AfD-Spitzenkandidat Björn Höcke – der laut Gerichtsurteil als Faschist bezeichnet werden kann – polarisiert, aber hindert die Menschen nicht, die Partei zu wählen: "Manche wählen AfD wegen Höcke, manche wählen trotz Höcke." Das gute Abschneiden der AfD wundert ihn nicht.
"Es gibt seit Jahrzehnten fest verankerte rechtsextreme Einstellungen in Thüringen."
Henry Bernhard sagt, dass es bei fast 20 bis 25 Prozent der Menschen in Thüringen seit Jahrzehnten verfestigte rechtsextreme Einstellungen gibt. Regelmäßige soziologische Untersuchungen zu diesem Thema hätten aber in den letzten Jahren niemanden interessiert, solange diese Menschen nicht wählen waren oder die klassischen Parteien gewählt haben.
Die rechtsextremen Einstellungen zeigten sich in Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Abwertung vom Fremden überhaupt, der Hoffnung auf einen starken Mann oder der Angst vor der Moderne oder der westlichen Welt.
Höcke ist vielen AfD-Wählern zu rechtsextrem
Zwar ist Björn Höcke laut Umfragen 40 Prozent der AfD-Wählern zu rechtsextrem. Trotzdem haben sie ihn gewählt, sagt Henry Bernhard. Vielen Thüringern sei Rassismus oder das Spiel mit nationalsozialistischen Codes bei der AfD schlicht egal, so die Erfahrung von Henry Bernhard.
"Björn Höcke hat zum Beispiel gesagt, er möchte die Alt-Elite komplett entsorgen. Und da sagen die Leute, wenn man sie drauf anspricht: Ja und, wo ist das Problem?"
Während sich der Trend einer erstarkten AfD schon bei den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg abzeichnete, ist das gute Abschneiden der Linken in Thüringen vor allem dem Spitzenkandidaten Bodo Ramelow zu verdanken: Mit 31 Prozent fuhren die Linken in Thüringen ihr bestes Ergebnis überhaupt ein.
Bodo Ramelow in Thüringen äußerst beliebt
"Bodo Ramelow hat in den letzten Wochen vor der Wahl eine immense Integrationskraft und Mobilisierungskraft bewiesen", so Henry Bernhard. 70 Prozent der Menschen im Land halten ihn für einen guten Ministerpräsidenten.
"Bodo Ramelow ist immer pragmatisch unterwegs. Immer mit politischen oder praktischen Beispielen aus irgendeinem Dorf in Thüringen. Und: Er ist nie ideologisch."
Die Regierungsbildung wird dennoch schwierig. Thüringen muss sich von den üblichen Modellen verabschieden, meint Henry Bernhard. Sicherlich werde es in den nächsten Tagen, Wochen und wahrscheinlich sogar Monaten viele Gespräche geben. Henry Bernhard rechnet damit, dass es sehr lange dauern wird, bis Thüringen eine neue Regierung gebildet hat.
Ramelow hat Zeit für Regierungsbildung
Wenn in Thüringen keine mehrheitliche Regierung zustande kommt, gäbe es noch die Option einer Minderheitsregierung. Oder: Ministerpräsident Bodo Ramelow macht einfach weiter. Anders als in anderen Bundesländern ist das in Thüringen nämlich möglich. Das heißt: Theoretisch kann Ramelow so lange als amtierender Ministerpräsident in der Staatskanzlei bleiben, bis ein neuer Ministerpräsident vom Landtag gewählt worden ist.
"Ramelow hat für die Regierungsbildung unendlich viel Zeit. Man sagt auch, er versteinert im Amt"
Vorausschauender Weise hat die alte Regierung in Thüringen noch vor der Landtagswahl den Haushalt für 2020 beschlossen – es ist also Zeit, um in Ruhe zu Sondieren, sagt Henry Bernhard.
Es sei aber davon auszugehen, dass von der Opposition Druck kommen wird, möglichst schnell eine neue Regierung zu bilden. Denn eine Regierung, die nur geschäftsführend im Amt ist, ist nicht besonders handlungsfähig. Sie kann beispielsweise keine neuen Gesetze einbringen.