Wir bedienen uns unreflektiert Denkmustern und Begriffen, die noch aus der Kolonialzeit stammen, sagt der Kulturwissenschaftler Julien Bobineau. Er erklärt, wie sie unbewusst dafür sorgen, dass wir rassistische Denkweisen bis heute fortführen.
Stereotype über Afrika kommen aus der Kolonialzeit, das ist das Spannende, aber auch Tragische der Afrika-Stereotype, die wir heute in der Gesellschaft haben, sagt der Literatur- und Kulturwissenschaftler Julien Bobineau. Diese Stereotype werden über Kultur und Literatur transportiert, führen zu Rassismen und wirken heute noch nach, lautet seine These.
Stereotype, die bis heute wirken
Mit der Wirkungsgeschichte dieser Stereotype befasst sich Julien Bobineau. Er analysiere Literatur oder Film- und Fotodokumente und wie diese Bilder von dem Kontinent und den Menschen, die dort leben, über die Jahrhunderte weitergegeben wurden und was daraus heute geworden ist.
Beispiele für Stereotype:
- der immer zu fröhliche und musikalische Afrikaner oder die immer zu fröhliche und musikalische Afrikanerin ist eine Vorstellung aus dem 19. Jahrhundert
- der sexualisierte Afrikaner oder die sexualisierte Afrikanerin stammt aus der Kolonialzeit
- der primitive Afrikaner, die primitive Afrikanerin
- der unzivilisierte Kontinent
- der arme Kontinent
- Natürlich- und Ursprünglichkeit
All diese Beispiele sind Bilder, die seit der Kolonialzeit tradiert, aber im 19. Jahrhundert gefestigt wurden, bis heute stark nachwirken und verantwortlich sind für sozialen Unfrieden, sagt Julien Bobineau.
Ein Beispiel, wie diese Bilder heute eingesetzt werden: Hilfsorganisationen nutzen das Bild des "armen Afrikas". Gäbe es diese Bild nicht, gäbe es die Hilfsorganisationen nicht, ein Kreislauf, der sich selber nährt, sagt der Kulturwissenschaftler.
Fehlende Diskussion über Kolonialismus
Damit will er aber nicht sagen, dass es keine Armut auf dem Kontinent gibt. Was ihm in dem Zusammenhang fehlt: Die Frage danach, wie es zu dieser Armut kommt. Liegen die Ursachen im Kolonialismus oder der Globalisierung? Nach Ansicht von Julien Bobineau sollten wir diese Fragen klären, statt Geld in die
afrikanischen Länder zu schicken.
Der Kulturwissenschaftler kritisiert aber auch die Medien, die wenig differenziert über die 54 afrikanischen Länder und deren Kulturen berichten. In der Forschung gibt es dafür die Bezeichnung "die fünf K": Krisen, Kriege, Krankheiten, Katastrophen, Konflikte. Er zählt einige wenige Ausnahmen auf, wie das deutschsprachige Magazin Africa positive, das von Menschen aus Afrika und People of Color produziert wird.
Kolonialismus im Unterricht
Eine nachhaltige Debatte über die Zeit des Kolonialismus in Europa fehlt nach Ansicht von Julien Bobineau. Weder an den Schulen noch in den Universitäten spiele die Auseinandersetzung mit Kolonialismus eine übergeordnete Rolle. Jetzt könnten wir sehr genau spüren, wozu das beispielsweise in Frankreich oder Belgien führt.
Julien Bobineau hat sich in seiner Dissertation unter anderem mit dem Kolonialismus unter dem belgischen König Leopold II. Ende des 19. Jahrhunderts beschäftigt. Bislang sei in Belgien recht unkritisch mit dieser Geschichte umgegangen worden. Aktuell werden Statuen, die Leopold II. abbilden, wegen der blutigen Kolonialgeschichte beschmiert oder auch von Stadtverwaltungen abgetragen. "Das ist ein Pulverfass, das gerade hochgeht", sagt Julien Bobineau.
Kolonialismus Grundlage unseres Wohlstands
Die Ursache für den europäischen Kolonialismus liegt im innereuropäischen Machtkampf um die Vorreiterrolle auf dem Kontinent begründet. Als im Jahr 1492 Christoph Kolumbus statt den Seeweg nach Indien Amerika entdeckte, begann die systematische Unterdrückung der indigenen Bevölkerung als unzivilisierte, minderwertige Menschen sowie der Schwarzen Menschen aus afrikanischen Gebieten, die versklavt und nach Amerika verschleppt wurden. Jahrhunderte lang gründete der wirtschaftliche Reichtum der Kolonialmächte auf der Ausbeutung der Rohstoffe und Menschen in Amerika und Afrika.
"Letztendlich ist der Kolonialismus die Grundlage unseres westlichen Wohlstands, um es mal ganz steil und provokativ zu formulieren. Weil all die Rohstoffe bei uns gelandet und verarbeitet worden sind und hier Wohlstand generiert haben."
Bis heute funktionieren die Wertschöpfungsketten bei Rohstoffen ähnlich wie damals. Beispiel Kakao, der in Ghana oder der Elfenbeinküste geerntet und dann nach Europa gebracht wird, wo er weiterverarbeitet und veredelt wird. Die Wertsteigerung beträgt bis zu 800 Prozent, sagt Julien Bobineau. Oder Verträge, mit denen sich ehemalige Kolonialmächte bis heute Vorteile bei der Rohstoffbelieferung sichern. Um diese Strukturen zu durchbrechen, braucht es Augenhöhe auf allen Ebenen – auf politischer, wirtschaftlicher und kultureller, sagt Julien Bobineua.
Weil dieser Kolonialrassismus sich über Jahrhunderte fortgesetzt hat und bis heute auf dem afrikanischen Kontinent, aber auch in den USA oder Europa spürbar ist, erleben wir jetzt verstärkt die Diskussion darüber, erklärt der Kulturwissenschaftler.
"Rassismus ist ein Problem, das über Hunderte von Jahren vorbereitet wurde."
Wir würden das Rassismusproblem dadurch fortführen, dass wir die Augenhöhe nicht zulassen und nicht mit einer Stimme den Begriff Rasse als ein soziales Konstrukt bezeichnen. Das Problem sei, dass wir Denkstrukturen und Begriffe aus vergangenen Jahrhunderten immer noch unreflektiert nutzen.
"Bis heute werden diese Wörter und diese Denkstrukturen eben völlig unreflektiert verwendet. Und damit müssen wir letztendlich aufhören."
Für den Kulturwissenschaftler liegt der Schlüssel im Aufbrechen dieser Denkstrukturen in der Bildung: "Wir müssen globale Abhängigkeitsverhältnisse viel stärker auf schulische Lehrpläne schreiben", sagt Julien Bobineau. Der Kulturwissenschaftler arbeitet selbst im Bildungsbereich eng mit der Bayerischen Bereitschaftspolizei zusammen. Sein Thema in den Ausbildungsseminaren sind Stereotype über den afrikanischen Kontinent und wie diese aufgebrochen werden können.
Denkmuster auf beiden Seiten auflösen
Teil der Seminare war auch der Austausch mit Studierenden aus Nigeria, die in Würzburg studieren. Beide Seiten, die Polizeianwärterinnen und die Studierenden, haben über ihre Bilder vom jeweils anderen diskutiert. Denn die nigerianischen Studierenden bringen erst einmal ein negatives Bild von der Polizei aus Nigeria mit nach Deutschland.
Wichtig sei auch eine breite gesellschaftliche Debatte, die empathisch geführt werde, in der sich Menschen den Argumenten der jeweils anderen öffnen und wertschätzend diskutieren. Dabei müssen sich Weiße Menschen auch mit dem Thema Privilegien Weißer auseinandersetzen, die Schwarze oder People of Color nicht haben. Dabei gehe es darum, sie zu erkennen und gleichzeitig zu dekonstruieren.
"Hier ist es eben ganz wichtig, dass man diese weißen Privilegien erkennt, erklärt und dann gleichzeitig auch dekonstruiert."
Wenn ihr wissen wollt, ob Julien Bobineau, der seine Dissertation über Patrice Lumumba geschrieben hat, bei unserem Rätsel "Geschichten vom Pferd" herausfindet, welcher Lumumba-Mythos war und welcher falsch ist, dann hört das ganze Gespräch mit ihm. Einfach auf den Playbutton klicken.