Bislang ging man davon aus, dass jeder Finger einen einzigartigen Fingerabdruck hat. Doch das stimmt wohl gar nicht. Ein US-Forscherteam konnte mittels Künstlicher Intelligenz berechnen, dass sich die Fingerabdrücke einer Person ähneln. Für die Kriminalarbeit bieten sich damit neue Möglichkeiten.

Wir stellen uns vor: Die Polizei konnte an zwei Tatorten jeweils zwei Fingerabdrücke sichern. Am Tatort A vom rechten Zeige- und Mittelfinger, am Tatort B vom linken Daumen und linken kleinen Finger.

"Nach dem bisherigen Stand der Forensik gibt es damit keine Möglichkeit, festzustellen, ob die Abdrücke von Tatort A und B zu einer Person gehören", sagt unser Reporter Michael Gessat. Es sei denn, die Abdrücke aller Finger dieser Person sind bereits in einer Datenbank gesichert.

Neue Erkenntnis dank Deep Learning

Bislang nahm man an, dass die Abdrücke der Finger einer Person einzigartig sind – und deshalb zum Beispiel keine Rückschlüsse möglich sind, wenn Abdrücke verschiedener Finger an verschiedenen Orten gefunden werden.

Doch ein Forscherteam aus den USA entdeckte nun, dass sich die Fingerabdrücke einer Person ähneln. "Damit steigt die Trefferquote beim Abgleich mit Datenbanken natürlich dramatisch", so Michael Gessat.

"Das könnte tatsächlich eine Revolution in der Kriminalforensik sein."
Michael Gessat, Deutschlandfunk-Nova-Reporter

Die Ingenieure der Columbia University veröffentlichten ihre Ergebnisse in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitung "Science Advances". Außerdem finden sich auf der Webseite der Uni die Hintergründe.

Das Team hatte schon zu Beginn die Vermutung, dass es aus genetischen Gründen eine Art verborgener Ähnlichkeit zwischen den Fingerabdrücken einer Person gibt. Das wollten sie anhand von Deep Learning überprüfen, also anhand von künstlichen neuronalen Netzwerken.

Ähnlichkeiten sind nicht sichtbar, aber errechenbar

"Das funktioniert im Grunde so wie bei den Künstlichen Intelligenzen, die Gesichter oder mittlerweile auch Bildinhalte erkennen", erklärt Michael Gessat.

In diesem Fall wurden die neuronalen Netze mit einer großen Zahl von Fingerabdrücken aus Datenbanken trainiert. Dabei stellten die neuronalen Netze bestimmte Muster statistisch fest und abstrahierten diese in Zahlenwerte. "Die KI destilliert sozusagen eine gewisse Essenz aus einem Bild heraus", sagt unser Reporter. "Egal, ob Katzenfoto oder Fingerabdruck."

Diese Essenz, die die Künstliche Intelligenz (KI) herausarbeitet, ist nicht zwangsläufig das, was Menschen optisch als Ähnlichkeitsmerkmal benennen würden.

"Die trainierte KI kann mit 99,99 Prozent Sicherheit sagen, dass die Abdrücke aller Finger einer Person starke Ähnlichkeiten haben."
Michael Gessat, Deutschlandfunk-Nova-Reporter

Was die KI als relevantes Muster herausgefiltert hatte, schaute sich das Team näher an. Und: "Es ist offensichtlich die Ausrichtung der Rillen im Zentrum des Fingerabdrucks, die maßgeblich zu der Ähnlichkeitsdiagnose der KI führt", sagt Michael Gessat.

Ebenso konnte das Team herausfinden, dass die Ähnlichkeit der Fingerabdrücke einer Person unabhängig vom Geschlecht der Person und/oder vom ethnischen Hintergrund ist.

Erkennung von Täter*innen: Fingerabdrücke können mehr helfen

Die Entdeckung stellt für die Verfolgung von Straftäter*innen neue Möglichkeiten. Zum Beispiel könnten bei alten Fällen, die bislang ungeklärt sind – also bei sogenannten cold cases – Abdrücke in den Datenbanken abgeglichen werden. Vielleicht lässt sich nun ein Treffer erzielen.

Aber die neuen Erkenntnisse haben auch einen sehr viel weniger dramatischen Nutzen. "Bislang kommt man mit einem biometrischen Fingerabdruck-Zugang zu einer Tür oder einem Computer nicht mehr rein, wenn man nur den Zeigefinger hinterlegt hat und der gerade verletzt oder bandagiert ist", sagt Michael Gessat. Einem Sensor, der das KI-Modell des Forscherteams beherrscht, können wir dann einfach einen anderen Finger zeigen.

Shownotes
Neue Möglichkeiten für Forensik
Künstliche Intelligenz: Fingerabdrücke einer Person ähneln sich
vom 11. Januar 2024
Moderator: 
Till Haase
Gesprächspartner: 
Michael Gessat, Deutschlandfunk Nova