Millionen Menschen in der Ukraine sind auf der Flucht. Einige sind an die Grenzen geflüchtet, versuchen aus dem Land zu kommen. Andere, wie der Student Wlad, sind aus der Stadt aufs Land gezogen, um etwas mehr in Sicherheit zu sein. Wegen der Wehrpflicht darf Wlad das Land nicht verlassen.
Wlad ist 20 Jahre alt und studiert normalerweise Politikwissenschaft. Im Moment ist er mit seiner Familie aus Kiew zu seiner Großmutter gezogen. Sie lebt etwa 250 Kilometer von der Stadt entfernt. Er hat uns erzählt, dass er immer Angst vor einem Krieg hatte – und davor, dass er möglicherweise kämpfen muss.
"Ich habe das ganze Leben davor Angst gehabt. Aber wenn das offensichtlich wird, dass man sich existenziell um sein eigenes Leben kümmern muss, dann verliert man diese Angst."
Wlad erzählt, sein Alltag habe sich sehr verändert. Er verbringe die Tage damit, minütlich die Nachrichten zu verfolge,, was ihn sehr mitnehme. "Man liest ziemlich viel über die Verletzten, über die Zivilisten, über die Bombardierungen der russischen Armee auf die Stadt. Und das macht mich wahnsinnig", sagt er.
Sorge um Freunde in Kiew
Der Student kommt aus der Nähe von Kiew, wo gerade auch Kämpfe stattfinden. Freunde und Freundinnen von Wlad sind zum Teil noch in den umkämpften Gebieten. Um die macht er sich Sorgen. "Ich habe mehrere Freunde, die immer noch in Kiew sind, die den größten Druck ihres Lebens erleben", sagt er.
"Eine Freundin von mir bleibt in einer komplett zerbombten Stadt im Bunker. Und das einzige, was sie mir schreibt, ist: Ich bin am Leben."
Heute (09.03.2022) war er zum ersten Mal im Supermarkt. "Ich hatte irgendwie Angst, auf der Straße zu sein", sagt er. Im Supermarkt gebe es immer noch ausreichend Lebensmittel, aber das Angebot habe sich verändert – es sei wesentlich kleiner.
"Der Supermarkt ist umgestaltet, sodass man das Wichtigste kaufen kann. Und das war für mich merkwürdig."
Ein Freund von ihm ist inzwischen auch im Haus der Oma. Die beiden spielen dann zwischendurch Schach, um sich abzulenken. "Das beruhigt mich irgendwie", sagt Wlad.
Er verfolge viele russische Kanäle bei YouTube oder Instagram, die er meldet, weil sie seiner Meinung nach Hass verbreiten. "Ich muss irgendetwas machen", sagt er, "ansonsten werde ich wahnsinnig."
Mehrmals täglich heulen Sirenen
Mehrmals am Tag gebe es Alarm. Es ist fast schon ritualisiert: Wenn die Sirenen heulen, gehen Wlad und seine Familie runter in den Keller. Einerseits ist er zuversichtlich, dass sie an dem Ort bei der Großmutter einigermaßen sicher sind, weil es dort keine strategische Infrastruktur gibt. Andererseits wurde in den vergangenen Tagen eine Region – etwa 60 Kilometer entfernt – bombardiert. "Vorgestern haben die Russen den Flughafen zerbombt, und das hat uns sehr beunruhigt. Und nach diesem Fall nehmen wir jede Sirene sehr ernst", sagt er.