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Tayiba trägt ihr Kopftuch eigentlich mit Stolz. Im Zuge der rechtsextremen Krawalle in Großbritannien ist sie vorsichtiger geworden. Im Moment hat sich die Lage zwar beruhigt – doch die gewalttätigen Unruhen könnten wieder aufflammen.

"In dieser ersten Woche hat es sich vernünftig angefühlt, kurz mein Kopftuch zu verstecken", sagt Tayiba Sulaiman. Die 23-Jährige kommt aus Liverpool und lebt jetzt in Manchester. Vor einem Jahr hat sie ihr Bachelorstudium in Anglistik und Germanistik abgeschlossen und arbeitet jetzt für eine Organisation, die deutschsprachige Gegenwartsliteratur fördert. Von den rassistischen und anti-muslimischen Ausschreitungen in ihrem Heimatland ist sie schockiert.

"Ich habe zuerst durch soziale Medien von diesem schrecklichen Angriff gehört."
Tayiba arbeitet als Übersetzerin in Manchester

Mit ihrer Familie hat sie zu Hause über die Nachrichten die weitere Eskalation der Ausschreitungen in mehreren Städten Großbritanniens verfolgt. Auslöser war die Tötung dreier Mädchen in Southport am 29. Juli durch einen 17-Jährigen. Der Ort liegt nordwestlich von Manchester. In den sozialen Medien kursierte kurz darauf die Falschmeldung, dass es sich bei dem mutmaßlichen Täter um einen muslimischen Asylbewerber handele, der erst seit kurzem im Land sei.

Fakt ist, dass es sich um einen 17-jährigen britischen Staatsbürger handelt, der in Wales geboren wurde und auch kein Muslim ist. Seine Eltern stammen aus Ruanda und sind vor vielen Jahren nach Großbritannien eingewandert. Doch die Falschinformationen haben sich weiterverbreitet und so die Ausschreitungen in mehreren Städten befeuert.

Wie die Ausschreitungen Muslime einschüchtern

Als Muslimin hat Tayiba in den vergangenen Wochen Angst gehabt, offen mit ihrem Kopf durch die Straßen zu gehen. Zeitweise hat sie es verdeckt. Öfter als sonst hat sie ihre Schwester angerufen, um nachzufragen, ob es ihr gut gehe.

"Wir tragen ja beide Kopftuch und sind dann sichtbar als muslimische Frauen, und da will man einfach ganz vorsichtig sein."
Tayiba hat während der Ausschreitungen in Großbritannien ihr Kopftuch verdeckt

Tatsächlich sei sie in dieser Zeit auch weniger ausgegangen. Ganz anders als sonst: "Ich bin sehr stolz mit meinem Kopftuch durch die Straßen gelaufen und ich habe mich – ganz ehrlich gesagt – nie in meiner Stadt unwohl gefühlt." Es habe sie wütend gemacht und beunruhigt, dass unschuldige Menschen wie die drei Mädchen in Southport, aber auch die kleine Schwester einer Bekannten in London, solche Gewalt erfahren mussten.

"Das, was mich richtig überrascht hat, war, wie organisiert diese Gewalt war."
Tayiba ist Muslimin und lebt in Manchester

Hartes Vorgehen gehen Rechtsextreme

Der britische Premierminister Keir Starmer hat Anfang August einen Krisenstab einberufen und kündigte an, hart gegen die Randalierer vorzugehen. Rechtsradikale Gruppen hatten vor allem Unterkünfte von Asylbewerbern attackiert. Inzwischen sind rund 1000 Personen festgenommen worden, über 400 sind bereits angeklagt. Einige wurden in Schnellverfahren bereits zu Haftstrafen verurteilt.

"Wir hatten gesehen, wie Protestaufrufe auf verschiedenen Social Media Plattformen wie X, Telegram und Tiktok sehr schnell verbreitet und wie sie für verschiedene Zwecke eingesetzt wurden, aber auch welche Influencer dahinter stehen", sagt Jakob Guhl. Er ist Extremismusforscher am Institut für Strategic Dialog in London.

Wirkungskette mit unterschiedlichen Akteuren

Anfangs sind britische Behörden noch davon ausgegangen, dass eine zentrale Organisation, nämlich die selbsternannte English Defense League, für die Ausschreitungen verantwortlich sei. Diese muslimfeindliche Protestbewegung mit Überschneidungen in die Hooligan-Szene existiere aber seit ein paar Jahren nicht mehr richtig, sagt Jakob Guhl. Auch Tommy Robinson – mit bürgerlichem Namen Stephen Yaxley-Lennon – hat als Influencer mit großer Reichweite Falschinformationen verbreitet. Er gilt als Gründer der English Defense League.

Dazu kamen Verschwörungserzähler und Politiker wie Nigel Farage, die mit Falschinformationen Stimmung gemacht haben. Aber auch einflussreiche Unternehmer wie Elon Musk, Eigentümer von X, haben ihre Reichweite genutzt, um weiter zu eskalieren. In anonymen Kanälen auf Telegram wurde nicht nur zu den Protesten aufgerufen, sondern auch Taktiken empfohlen wie etwa das Gesicht zu verdecken oder Steine zu werfen, beschreibt Jakob Guhl.

"Es ist nicht eine Person, es ist nicht eine Gruppe. In diesem Fall hat es eine Wirkungskette gegeben, von Falschbehauptung hin bis zu realer Gewalt, die eine Woche lang anhielt."
Jakob Guhl, Extremismusforscher am Institut für Strategic Dialog in London

Bei den Ausschreitungen seien aber nicht nur Rechtsextreme dabei gewesen, meint Jakob Guhl. Es gebe immer Leute, die sich aus Spaß sich daran beteiligen. Fakt ist aber auch, dass sich die Attacken gezielt gegen bestimmte Gruppen und Einrichtungen gerichtet haben: gegen Muslime, gegen Moscheen, gegen Aufnahmestellen von Asylbewerbern, gegen Anwälte, die sich für die Rechte von Geflüchteten einsetzen und gegen Unterkünfte von Asylbewerbern.

"Das sind Ausschreitungen mit ganz eindeutig rassistischer Natur und eindeutigen Zielen und Gruppen, die davon betroffen waren, und die angeheizt wurden von rechtsextremen Influencern und Aktivisten."
Jakob Guhl, Extremismusforscher am Institut für Strategic Dialog in London

Dass es derzeit nicht zu weiteren Ausschreitungen kommt, liegt daran, dass der britische Staat mit einer effektiven Strafverfolgung eingeschritten ist, sagt Jakob Guhl. Das habe auf jeden Fall eine "abschreckende Wirkung". Aber: "Es kann definitiv wieder aufflammen", sagt der Extremismusforscher.

Im letzten Jahr hat es vergleichbare Ausschreitungen vor einem Asylbewerberheim in Nordengland gegeben. Auch in Irland sei es Ende 2023 zu ähnlichen Ausschreitungen gekommen. Vor zwei Jahren habe es in Dover einen Brandanschlag auf eine Unterkunft gegeben. Zwar sei das Ausmaß der Ausschreitungen jetzt ungewöhnlich stark gewesen, aber es könne wieder zu ähnlichen Ereignissen kommen.

Nicht unerwähnt bleiben sollten die vielen Gegenproteste. Diese und ihre eigenen Alltagserfahrungen machen Tayiba Mut. Sie denkt keine Sekunde daran, ihre Heimat verlassen zu müssen, sagt sie.

Hinweis der Redaktion: Wir haben den Titel dieser Folge nach der Veröffentlichung angepasst. Der ursprüngliche Titel suggerierte eine passive Opferrolle der Protagonistin Tayiba, was einen unvollständigen Eindruck ihrer Situation vermitteln konnte.

Ihr habt Anregungen, Wünsche, Themenideen? Dann schreibt uns an Info@deutschlandfunknova.de

Shownotes
Muslime in Angst
Ausschreitungen in UK: Tayiba lässt sich nicht einschüchtern
vom 16. August 2024
Moderation: 
Rahel Klein
Gesprächspartnerin: 
Tayiba Sulaiman, britische Muslima
Gesprächspartner: 
Jakob Guhl, Extremismusforscher, Institute for Strategic Dialogue, London