Krankheit – das Fehlen von Gesundheit
Krankheit ist, wenn Gesundheit weg ist. Gesundheit ist, wenn Krankheit weg ist. Oder? Jedenfalls ist Krankheit leichter zu beschreiben als Gesundheit, meint unser Redner. Dass aber auch unser Verständnis von Krank-Sein sich verändert, beschreibt der Bioethiker Dirk Lanzerath.
Krankheit und Krank-Sein sind eine existenzielle Erfahrung. Sie führt uns unsere Vergänglichkeit vor Augen. Egal, wie fit wir sind – irgendwann werden wir es nicht mehr sein. Und oft wird uns erst, wenn wir krank sind, bewusst, was Gesundheit ist, sagt Bioethiker Dirk Lanzerath.
"Gesundheit wird uns erst bewusst durch Negation. Durch Krankheit wird sie entborgen".
Die Weltgesundheitsorganisation WHO definiert Gesundheit folgendermaßen: "Gesundheit ist ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen." Eine sehr umfangreiche Definition.
"Was gesund und krank im Allgemeinen bedeutet, darüber zerbricht sich der Mediziner am wenigsten den Kopf".
Es gibt Grenzfälle und Zustände, deren Zuordnung Veränderungen unterworfen sind. Ist lang anhaltende Trauer um einen geliebten Menschen normal – oder krankhaft? Ist ADHS eine Krankheit, ein soziales Phänomen oder ein biologisch-chemisches Problem? Lanzerath beschreibt, wie sich Definitionen entwickelt und verschoben haben. Er kritisiert die zunehmende "Medikalisierung der Lebenswelt" und warnt vor einer Medizin, die zur "Anthropotechnik" wird.
"Der Körper ist weder einfach Person, noch ist er einfach Sache. Er ist es, der mich krank macht. Und gleichzeitig bin ich es, der krank ist".
Der Redner, Dirk Lanzerath, ist Geschäftsführer des Deutschen Referenzzentrums für Ethik in den Biowissenschaften an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Gehalten hat er seinen Vortrag "Zur Funktion des Krankheitsbegriffs in der medizinischen Ethik" anlässlich des Symposiums "Verständnis(se) von Gesundheit". Geladen hatte die Interdisziplinäre Arbeitsgruppe "Zukunft der Medizin: Gesundheit für alle" am 28. Januar 2020 an die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften. Die Aufnahme stammt vom Wissenschaftsportal L.I.S.A. der Gerda-Henkel-Stiftung.