Influencer dürfen sich im Stadion kostenlos und zu Werbezwecken selbst inszenieren und nehmen den wahren Fans die Plätze weg, kritisieren Fanverbände. Nachvollziehbar, sagt Fanforscher Harald Lange – auf der Pressetribüne wären die Influencer allerdings fehl am Platz. Und: In Deutschland sei das Problem auf Vereinsebene gravierender als beim "Eventpublikum" der DFB-Elf.

Influencer*innen verdienen mit Werbung Geld – die Unternehmen wissen das, profitieren aber von deren Reichweite und Werbewirksamkeit. Daher lassen sie den Influencer*innen häufig kostenlose Tickets zukommen – auch für EM-Spiele, um die sich normale Menschen entweder vergeblich bemühen oder für die sie sehr viel Geld zahlen müssen.

Dabei seien die Influencer oft gar keine richtigen Fans, sagt die Fanvereinigung "Unsere Kurve".

Wann ist ein Fan ein Fan?

"Ein Fan ist jemand, der einer Sache, beispielsweise einem Fußballspiel, leidenschaftlich folgen kann und der sich mit dem Spiel oder dem Spieler komplett identifizieren kann", sagt Fanforscher Harald Lange von der Julius-Maximilians-Universität in Würzburg.

"Fan sein ist etwas sehr Emotionales, sehr Leidenschaftliches. Die Identifikation zwischen mir und einer Sache."
Harald Lange, Fanforscher, Julius-Maximilians-Universität Würzburg

Es gehe darum, "einzutauchen und quasi eins zu werden" mit dieser Sache und dafür eine Leidenschaft und Emotionalität zu entwickeln. Eine Emotionalität, "die darauf hinausläuft, dass diese Sache – sprich das Fußballspiel – in dem Moment, in dem ich es schaue, das Wichtigste und auch das Einzige auf der Welt ist, in das es sich zu vertiefen lohnt."

"Das Wichtigste und Einzige auf der Welt"

Leidenschaft bringen Influencer*innen oft eher für ihr neustes Video auf als für ein Team oder einen Spieler. Ein Influencer oder eine Influencerin instrumentalisiert das Fußballspiel für andere Zwecke, sagt Harald Lange. Er oder sie wolle Klicks generieren, die persönliche Reichweite vergrößern und damit auf direktem oder indirektem Weg Werbebotschaften senden.

"Ein Influencer oder eine Influencerin instrumentalisiert das Ereignis – das Fußballspiel – für andere Zwecke."
Harald Lange, Fanforscher, Julius-Maximilians-Universität Würzburg

All das falle natürlich nicht unter die ursprüngliche Definition eines Fans. Aus der Fanperspektive sei die Kritik am Influencertum bei der Fußball-EM daher "vollends nachvollziehbar", so der Sportwissenschaftler.

Kritik an der Selbstdarstellung

Das betreffe übrigens nicht nur die Influencer*innen, sondern auch viele Personen, die in den VIP-Bereichen sitzen und die Tickets von Sponsoren bekommen haben. Auch viele Politiker seien darunter. Sie seien oft nicht wirklich in erster Linie aus Fußballleidenschaft dort, sondern um sich selbst zu inszenieren – um gesehen zu werden und ihre Netzwerke zu vertiefen.

Influencer auf die Pressetribüne?

Die Fanvereinigung "Unsere Kurve" hat die Idee ins Spiel gebracht, die Influencer*innen sollten in den Stadien auf der Pressetribüne Platz nehmen.

"Man kann Influencer ja nicht wirklich als Journalisten bezeichnen."
Harald Lange, Fanforscher, Julius-Maximilians-Universität Würzburg

Harald Lange hält den Vorschlag zwar für "sehr originell" und im Kern habe er etwas, dem er auch folgen könne – am Ende sei das Ganze aber wahrscheinlich aus pragmatischen Gründen gar nicht umsetzbar. "Vor allem würden sich dann die Journalisten massiv beschweren, weil wahrscheinlich deren Kontingente dann beschnitten würden." Außerdem könne man Influencer ja auch nicht wirklich als Journalisten bezeichnen.

Influencer in der Bundesliga

Dortmund, Schalke, Bayern München: All diese Vereine haben sehr viele Fans und die Tickets sind oft schnell ausverkauft. Im Unterschied zu den Bundesliga-Spielen würden die Spiele der DFB-Elf allerdings meistens von einem "Eventpublikum" geschaut – von der Struktur her passe das durchaus sehr gut zum Influencertum. "Von daher würde ich das da relativ gelassen sehen", sagt Harald Lange.

"Bei der deutschen Nationalmannschaft haben wir es mit einem Eventpublikum zu tun, was von der Struktur her sehr gut zu diesem Influencertum passt."
Harald Lange, Fanforscher, Julius-Maximilians-Universität Würzburg

Im Kontext von Traditionsclubs wie Dortmund, Schalke und Co. bekomme das Influencertum "natürlich noch mal ein anderes Geschmäckle". Hier seien dann vor allem die Vereine und deren Management gefragt, ob sie damit in Verbindung gebracht werden wollen.

Denn in der Konsequenz spüle das Influencertum dann natürlich auch mehr Event-Fußballpublikum in die Vereine. Ob man Influencer*innen derart hofiert, wie das gerade bei der Fußball-EM passiert, habe letztlich mit dem (gewünschten) Image des jeweiligen Clubs zu tun.

Info: Im Bild oben ist die kroatische Influencerin Ivana Knoll während der Fußball-EM 2024 im Stadion in Leipzig zu sehen.

Shownotes
Kostenlos ins EM-Stadion
Fans vs. Influencer: Leidenschaft vs. Selbstinszenierung
vom 04. Juli 2024
Moderation: 
Jenni Gärtner und Thilo Jahn
Gesprächspartner: 
Harald Lange, Fanforscher, Julius-Maximilians-Universität Würzburg