Auch wenn wir es so gerne glauben mögen: Unser Körper gehört nicht nur uns. Was zur Geburt oder nach dem Tod mit uns passieren kann, aber auch, wie der Körper durch Verjüngungswahn in Mitleidenschaft gezogen wird, dazu hören wir drei Vorträge.
Die Organ-Mafia schneidet einem Betrunkenen den Hoden ab. Offenbar, weil ein älterer Herr seine jüngere Freundin damit sexuell beglücken will. Dieser Vorfall liegt schon hundert Jahre zurück, doch gerade nach dem Ersten Weltkrieg durchzog eine Verjüngungswelle Länder mit hohen Verlusten an Soldaten.
Über Beispiele wie diese, die den Drang zu einem ewig jungen Körper manifestieren, berichtet der Historiker Mischa Honeck. Unter anderem führt er den Roman "The Gland Stealers" an, in dem sich sogar Greise effektiv verjüngen lassen.
"Er erzählt die Geschichte eines 95-Jährigen, der sich verjüngen lässt und danach völlig enthemmt jungen Frauen nachstellt."
Ob ein gewaltsam abgetrennter Hoden oder ärztliche Eingriffe fürs Anti-Aging: Unsere Körper sind mittlerweile zu einem Spielball auf dem Markt der Möglichkeiten geworden - einem ökonomischen Markt.
Samenklinik: Käufliche Chance auf ein Kind
Bei der Erlanger Samenklinik etwa kostet eine Samenprobe 700 Euro, 150 Euro Versandkosten kommen noch hinzu. Am Ende des Bestellprozesses entsteht womöglich ein Kind. Und die Erlanger Klinik sucht ständig neue Produzenten, damit der gewinnmaximierte Markt auch in Zukunft bedient werden kann: mit frischem Sperma, von jungen, gesunden und vertrauenswürdigen Männern, wie es auf der Website heißt.
"Patientinnen wurden zu informierten Verbraucherinnen, die das auf dem Markt vorhandene Angebot anhand von Erfolgsraten, Preisen und Reproduktion einzelner Praxen miteinander verglichen."
Als in den 1980er-Jahren die ersten Retortenbabys mithilfe der neuen Reproduktionsmedizin geboren werden konnten, entwickelte sich rasch ein weitverzweigtes Netz mit entsprechenden Angeboten, denen Denise Lehner-Renken rückblickend nachgeht.
Was passiert mit unserem Körper nach unserem Tod?
Der Historiker Jan Logemann nimmt den Umgang mit unseren Körpern gegen Ende des Lebens in Augenschein: Asche, die nicht mehr auf dem Friedhof landet, sondern maschinell zu Kunst verarbeitet wird oder Discountbestatter, wenn die Beerdigung nicht viel mehr kosten soll oder darf als ein paar Großeinkäufe bei Aldi.
"Hier wird die Asche des verstorbenen Partners maschinell in Form gepresst und lässt sich als Schmuck am Körper tragen."
Der Vortrag:
Mischa Honeck, Denise Lehner-Renken und Jan Logemann haben auf dem 53. Historikertag in München gesprochen. Vom 5. bis 8. Oktober 2021 tauschte sich ein Teil der Wissenschaftler über die Frage aus: "Körper-Märkte: "Kontroversen zum Umgang mit Körpern und Leben in modernen Marktgesellschaften". Der Historiker Mischa Honeck von der Universität Kassel hat zu dem Thema vorgetragen: "Körperretropien: Transatlantische Verjüngungsökonomien in den 1920er-Jahren".
Die Wirtschafts- und Sozialhistorikerin Denise Lehner-Renken von der Universität Göttingen befasste sich mit "Zwischen Macht, Markt und Moral: Praktiken der Reproduktionsmedizin und das Arzt-Patientin-Verhältnis in den 1980er-Jahren" und der Historiker Jan Logemann mit "Pietät und Recht am eigenen Körper: Bestattungen zwischen Markt und Moral im 20. Jahrhundert".
Auf dem 53. Historikertag in München ging es ebenfalls um die Frage: "Und das soll gesund sein? Deutungskämpfe um Gesundheit 1850-2000". Den Hörsaal dazu findet ihr hier.