Welche Klimaschutzmaßnahmen wir in Deutschland haben, messen wir an unserer Klimabilanz. Und die deutsche Klimabilanz hinkt, sagt Umweltwissenschaftler Mario Schmidt. Sie ist unvollständig, weil sie nur das einberechnet, was wir innerhalb Deutschlands produzieren – nicht aber, was wir importieren.
Klimaschutz ist eine globale Aufgabe. Mit dem Pariser Klimaabkommen haben sich die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen 2015 darauf geeinigt, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad zu begrenzen. Im besten Fall auf 1,5 Grad.
Wenn es darum geht, was Deutschland für mehr Klimaschutz machen kann beziehungsweise muss, kommt oft der Einwand, es mache keinen Unterschied, wenn Deutschland seine CO2-Emissionen reduzieren würde. Schließlich trage Deutschland nur rund mit zwei Prozent zum globalen Klimawandel bei. Im weltweiten Vergleich sei der Anteil an der Produktion des Treibhausgases also gering, heißt es.
Klimabilanz mit Lücken
Die Rechnung geht aber nicht auf, sagt der Physiker und Umweltwissenschaftler Mario Schmidt vom Institut für Industrial Ecology der Hochschule Pforzheim. "Wir lügen uns etwas in die Tasche." Denn: Diese Klimabilanz berücksichtige nicht, was Deutschland im Ausland mitverursacht. Rohstoffe und Güter etwa, die wir importieren, tauchen darin nicht auf.
Alleine die weltweite Gewinnung der Rohstoffe sei aber für die Hälfte der Treibhausgase verantwortlich. Den Anteil, den Deutschland über die Landesgrenzen hinaus mitverantwortet, ignorieren die bisherigen Klimabilanzen, sagt er. Das führe dann letzten Endes zu Klimaschutzmaßnahmen, die nur auf der halben Wahrheit basieren.
"Rohstoffe kriegt man nicht zum CO2-Nulltarif. Der Aspekt fehlt in den nationalen Emissionsbilanzen und bleibt auch bei den nationalen Klimazielen der Bundesregierung unberücksichtigt."
Würde zum Beispiel die deutsche Chemieindustrie ihre Produktion ins Ausland verlagern beispielsweise nach China, würde das die deutsche Klimabilanz erst mal vermeintlich verbessern. Laut Umweltwissenschaftler könnte Deutschland damit 40 Millionen Tonnen CO2-Emissionen einsparen.
Global gesehen hinkt die Rechnung aber deutlich. Denn durch die Produktion der Chemikalien würden weiterhin Treibhausgase entstehen – nur eben an einem anderen Ort der Welt. Importiert Deutschland die Chemikalien, würde ihr CO2-Fußabdruck – nach dem aktuellen Vorgehen für die Berechnung der deutschen Klimabilanz – durchs Raster fallen.
Mehr CO2-Emission durch Produktionsauslagerung
Zumal die Auslagerung der Produktion ins Ausland oft für noch mehr CO2-Emissionen sorgt, erklärt er. Würden in unserem Beispiel die zwölf der für Deutschland wichtigsten Chemikalien in China produziert, würde sich der CO2-Ausstoß mit 56 Millionen Tonnen CO2 verdoppeln. In Deutschland werden für die Produktion dieser Chemikalien jedes Jahr hingegen 28 Millionen Tonnen CO2 ausgestoßen.
Das liegt daran, dass Deutschland vergleichsweise effizient produziert, während die chinesische Industrie noch Strom aus Kohleverbrennung bezieht und auch andere technische Standards habe, so Mario Schmidt.
"Wenn unsere Klimabilanz nicht vollständig ist, können wir Klimaschutzmaßnahmen nicht verlässlich bewerten und treffen dann Fehlentscheidungen."
Der Physiker und Umweltwissenschaftler hält es daher für notwendig, neben einer klimafreundlicheren Produktion in Deutschland auch beim Import nach Deutschland auf klimafreundlich produzierte Güter zu setzen. Und ihren Einfluss auf die deutsche Klimabilanz sichtbar zu machen.
Bilanzierungssysteme erweitern
Dafür brauche es andere Rechenmodelle und Bilanzierungssysteme. Schauen wir darauf, was Deutschland global an CO2 verursacht, können wir dementsprechend auch passende Maßnahmen für den Klimaschutz entwickeln, erklärt er.
Für das Jahr 2016 haben er und sein Team an der Hochschule Pforzheim die CO2-Emissionen national und global mit einem Rechenmodell untersucht. "Wir kamen zu dem Ergebnis, dass wir außerhalb Deutschlands ungefähr noch mal so viele Emissionen verursachen, wie wir hier im Inland freisetzen", erklärt Mario Schmidt. Auch ohne die Waren und Güter zu berücksichtigen, die Deutschland ins Ausland exportiert, würde die Klimabilanz nach dem Rechenmodell von ihm und seinem Team ein Drittel über den bisherigen Bilanzen liegen.
Grund dafür sei vor allem der Import vieler Rohstoffe und Güter aus dem Ausland nach Deutschland. Deswegen fordert der Umweltwissenschaftler eine erweitertet Klimabilanz für Deutschland, die den gesamten CO2-Fußabdruck berücksichtigt und dafür über die Landesgrenze hinaus blickt.