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Manche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gehen davon aus, dass uns irgendwann Kernfusionsreaktoren mit Strom versorgen. Nur: Es gibt noch viele unsichere Faktoren, sodass eine Prognose quasi unmöglich erscheint.

In Frankreich beginnt der Bau des weltgrößten Kernfusions-Reaktors Iter (International Thermonuclear Experimental Reactor). Der Iter-Generaldirektor Bernard Bigot hofft, dass der Reaktor 2025 fertiggestellt ist und ab 2050 Energie erzeugt, die nutzbar ist.

Vorher muss getestet, weiterentwickelt und nachgebessert werden. Nach Aussagen unterschiedlicher Experten ist es ungewiss, ob ein Kernfusions-Reaktor jemals im Regelbetrieb und zu ausreichend niedrigen Kosten betrieben werden kann.

″Für die Jahre weit nach 2050 könnte Iter eine Option sein, den Klimaschutz zu fördern.″
Werner Eckert, SWR-Umweltredaktion

Im Gegensatz zu einem herkömmlichen Kernkraftwerk werden bei der Kernfusion Atomkerne nicht gespalten, sondern fusioniert. Diese Reaktion findet auch in der Sonne statt – sie sorgt dafür, dass die Erde von der Sonne mit Energie in Form von Wärme und Licht versorgt wird. Deshalb wird Iter auch als eine künstliche Sonne bezeichnet.

Zwei der vielen Schwierigkeiten, mit denen die Iter-Entwickler umgehen müssen:

  • Um die Fusionsreaktion in Gang zu setzen, muss erst einmal viel Energie aufgewendet werden. Zurzeit sind die Tests noch ein Minus-Geschäft – es wird weniger nutzbare Energie erzeugt als ins System reingesteckt wird. Bei Versuchen mit dem Reaktor "Joint European Torus" in Oxford wurden 63 Prozent der eingesetzten Energie zurückgewonnen.
  • Die Reaktion findet bei vielen Millionen Grad Celsius statt. Kein Material der Welt kann so hohe Temperatur aushalten, alles würde direkt verdampfen. Deshalb muss ein großes Magnetfeld erzeugt werden, dass die zu reagierenden Teilchen sozusagen in der Luft schweben lässt, damit sie quasi einen Sicherheitsabstand zum nächsten festen Material haben.
″Der Iter soll zeigen, dass der Prozess irgendwann selbst laufen und Energie abwerfen kann.″
Werner Eckert, SWR-Umweltredaktion

Ob überhaupt viele Milliarden Euro aufgewendet werden sollen, um eine Technik wie die Kernfusion zu entwickeln, ist strittig.

Pro Kernfusion

Der Energiebedarf auf der Welt steigt, genauso die Notwendigkeit in klimafreundliche Energieträger zu investieren. Es ist aber unsicher, ob Windräder und Solarmodule jemals ausreichen werden, genügend Strom zu erzeugen – sei es aus technischer oder aus wirtschaftlich-politischer Sicht.

Schon heute ist es zum Beispiel in Deutschland schwierig, Plätze zu finden, auf denen Windräder errichtet werden können. Dabei bräuchte es ein Vielfaches der bisherigen Windkraft- und Solar-Anlagen, um den Strombedarf in Deutschland zu decken – der zudem ansteigen wird, wenn mehr Autos mit Strom fahren und Häuser mit Strom beheizt werden.

Kraftwerke, die Tag und Nacht unabhängig von Wind und Sonne zuverlässig Strom erzeugen, sind deshalb sinnvoll und notwendig. Und wenn schon Kernkraftwerke gebaut werden, dann besser solche, deren Technik nicht zu einer Kernschmelze führen kann und wenig Atommüll erzeugt.

Contra Kernfusion

Es ist sehr ungewiss, ob es jemals gelingt, Fusion-Kraftwerke zu bauen, die zuverlässig und wirtschaftlich Energie erzeugen können. Sollte es nicht gelingen, wären viele Milliarden Euro ohne brauchbares Ergebnis ausgegeben worden.

Hinzu kommt: Selbst der Iter-Generaldirektor Bernard Bigot geht davon aus, dass Iter frühestens in 30 Jahren zur Energieversorgung beitragen kann. Bis dahin sollten die meisten Länder der Welt schon längst auf erneuerbare Energien umgestellt haben, um die Klimaziele einzuhalten. Die Europäische Union will bis 2050 klimaneutral sein. Ein Kernfusions-Reaktor würde vor diesem Hintergrund also viel eher jetzt als in 30 Jahren gebraucht.

Und auch wenn das Risiko eines Kernfusions-Reaktors geringer ist als das eines Kernkraftwerks: Es bleibt eine kerntechnische Anlage, die mit radioaktiven Stoffen arbeitet. Anlagen wie Solarkraftwerke oder Windkraftanlagen sind technisch deutlich weniger komplex, günstiger und vor allem bereits im Regelbetrieb einsetzbar. Würden sie in ausreichend großer Menge gebaut, könnte die ganze Welt mit grünem Strom versorgt werden. Ausreichend Sonnenenergie ist prinzipiell vorhanden: Die Sonne liefert ein Vielfaches der Energie, die die Menschheit benötigt.

Shownotes
″Künstliche Sonne″
Bau des Kernfusionsreaktors Iter – Strom vielleicht ab 2050
vom 03. August 2020
Moderatorin: 
Diane Hielscher
Gesprächspartner: 
Werner Eckert, SWR-Umweltredaktion