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Geschlechtsverändernde Operationen bei Kindern sollen in Deutschland künftig verboten sein. Der Bundestag hat dazu nun ein entsprechendes Gesetz beschlossen. Geschlechterforscherin Anike Krämer erklärt, warum dieses Gesetz längst überfällig ist.

Intergeschlechtliche Kinder haben sowohl männliche als auch weibliche Geschlechtsmerkmale. Wie viele Menschen in Deutschland intersexuell sind oder als solche geboren werden, darüber gibt es keine Statistik. Laut Bundesverfassungsgericht lebten 2017 rund 160.000 intersexuelle Personen in Deutschland. Die Seite Inter* gibt an, dass intergeschlechtliche Kinder so häufig auf die Welt kämen wie Zwillinge oder rothaarige Menschen.

Bisher war es möglich, die Geschlechtsorgane der betroffenen Kinder operativ so zu verändern, dass sie danach vermeintlich eindeutige "weibliche" oder "männliche" körperliche Merkmale aufwiesen.

Medizinisch notwendige Operationen bleiben erlaubt

In Zukunft wird genau das verboten. Das hat der Bundestag Ende März 2021 in einem Gesetz beschlossen. Eine Operation soll dann erlaubt sein, wenn eine Gefahr für das Leben des Kindes besteht oder sie für die Gesundheit des Kindes erforderlich ist. Neben medizinisch indizierten OPs sind nur noch solche erlaubt, die vom Kind oder Jugendlichen selbst gewünscht sind.

"Jeder Mensch hat das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Die durchgeführten Operationen können zu schwerwiegenden physischen und psychischen Problemen führen."
Anike Krämer vom Zentrum für Geschlechterstudien / Gender Studies der Uni Paderborn

Anike Krämer vom Zentrum für Geschlechterstudien / Gender Studies der Uni Paderborn bezeichnet das neue Gesetz als "längst überfällig". Die bisherige Praxis sei schlichtweg eine Menschenrechtsverletzung gewesen, sagt sie.

Psychisches und physisches Leid

Laut einer Studie der Ruhr-Universität Bochum wurden zwischen 2005 und 2016 jedes Jahr im Schnitt 1871 medizinisch nicht notwendige "feminisierende" oder "maskulinisierende" Operationen durchgeführt.

Die Folgen einer geschlechtsanpassenden Operation bei Kindern seien vielfältig, erklärt Anike Krämer. Zunächst könnten Narben wieder aufreißen oder die Sensibilität an den Genitalien verloren gehen. Psychische Folgen könnten ein erschwertes Verhältnis zum eigenen Körper sein, genauso wie zur eigenen Familie. Das drohe zu passieren, wenn das Kind erst viel später von dem Eingriff erfährt oder es schlimmstenfalls per Zufall herausfindet.

"Die Gefahr besteht, dass Kinder mit dem Wissen aufwachsen: Ich war wohl nicht richtig so und musste deswegen verändert werden."
Anike Krämer vom Zentrum für Geschlechterstudien / Gender Studies der Uni Paderborn

Die Soziologin befürwortet das neue Gesetz. Das Grundproblem sei damit aber nicht gelöst: "Unsere ganze Welt ist geschlechtlich organisiert - bis hin zur Diskriminierung."

"Wenn wir anerkennen würden, dass auch das biologische Geschlecht Varianz hat und alle Körper unterschiedlich aussehen, würden wir dem Thema sehr viel konstruktiver begegnen."
Anike Krämer vom Zentrum für Geschlechterstudien / Gender Studies der Uni Paderborn

Als vermeintlich banales Beispiel nennt Anike Krämer Produkte, die exklusiv für Mädchen oder Jungen oder eben für Männer oder Frauen produziert werden. Sie plädiert nicht gegen zwei Pole, "die man auch männlich und weiblich nennen kann", sondern für die Perspektive, dass wir alle unterschiedlich sind.

Ihr habt Anregungen, Wünsche, Themenideen? Dann schreibt uns an Info@deutschlandfunknova.de

Shownotes
Neues Gesetz zum Schutz von Kindern
Keine geschlechtsverändernden Operationen bei Kindern mehr erlaubt
vom 26. März 2021
Moderator: 
Thilo Jahn
Gesprächspartnerin: 
Anike Krämer, Geschlechterforscherin an der Universität Paderborn