Seit Freitag diskutieren die Mitgliedsländer der EU über das größte Finanzpaket ihrer Geschichte: insgesamt 1,85 Billionen Euro. Doch die Fronten sind verhärtet. Katarina Barley, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, über die europäische Solidarität in Zeiten der Coronakrise.
Es ist der erste EU-Gipfel seit dem Ausbruch der Pandemie - und der hat es gleich in sich: 1,85 Billionen Euro sollen verteilt werden. Eine Billion hat 12 Nullen. Es ist eine wirklich gigantische Summe. Ein Programm zur Bewältigung der Corona-Wirtschaftskrise ist geplant. Es sieht einen schuldenfinanzierten Konjunktur- und Investitionsplan im Umfang von 750 Milliarden Euro vor. Das Ganze wird zusammen mit dem nächsten siebenjährigen EU-Finanzrahmen verhandelt, für den die Kommission 1,1 Billionen Euro ansetzt.
Die "Sparsamen Fünf"
Doch die 27 EU-Mitgliedsländer sind sich nicht einig: Die Niederlande, Österreich, Dänemark, Schweden und Finnland wollen das Geld nicht einfach so (als Zuschüsse) an Italien, Spanien oder Ungarn herausrücken. Sie präferieren Kredite und fordern, dass diese Staaten selbst mehr tun müssen.
"Hart verhandeln gehört zur Jobbeschreibung von Regierungschefs und -chefinnen dazu."
Der Ton ist gereizt, berichten Beobachter. Der Gipfel ist eine Art Stresstest für die EU. Man sollte das Ganze aber auch nicht zu hoch hängen, sagt Katarina Barley (SPD), die amtierende Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments. In drei Wochen werde das wieder vergessen sein. Entscheidend sei, dass man ein Ergebnis bekommt, aus dem die EU gestärkt hervorgeht. Hart verhandeln gehöre zum Job von Regierungschefs einfach dazu.
"Verhandeln, wie es üblich ist"
Wenn es um Geld gehe, sei es "ein Verhandeln, wie es üblich ist“: Der eine steige hoch ein, der andere ganz niedrig und am Ende einige man sich irgendwo, so die SPD-Politikerin, die sich selbst als "Europäerin durch und durch" bezeichnet.
Schwieriger sei es mit den anderen strittigen Punkten – zum einen damit, dass die Gruppe der "Sparsamen" Reformen verlangt. Vor allem die südlichen Länder würden das strikt ablehnen, weil sie in der Finanzkrise schlechte Erfahrungen damit gemacht hätten. Das zweite große Problem sei das Thema der Rechtsstaatlichkeit in Ländern wie Polen und Ungarn. Hier hätten sich die meisten EU-Staaten in einer "sehr ungünstige Verhandlungsposition" begeben, so Barley.
Mehr Rechtsstaatlichkeit in Ungarn und Polen
Die Forderung nach mehr Rechtsstaatlichkeit liege auf dem Tisch und sei vielfach bekräftigt worden. Der Punkt sei nur: Worte allein würden nicht mehr reichen.
"Worte reichen da nicht mehr. Viktor Orbán baut seit zehn Jahren, Polen seit fünf Jahren ihre Länder zu undemokratischen Staaten um."
Dem dürfe man nicht mehr länger zusehen, dem müsse Einhalt geboten werden. Die Frage sei nur: Wie kriegt man etwas hin, das wirklich wirksam ist? Orbán möchte die Einstimmigkeit aller anderen Mitgliedstaaten, erklärt Katarina Barley. Doch da Polen Ungarn deckt und umgekehrt, funktioniere dieses Instrument nicht.
Wie ein Kompromiss aussehen könnte
Die Kommission stellt fest, wenn ein systematischer Verstoß gegen rechtsstaatliche Prinzipien vorliegt. Der Europäische Rat, also die Mitgliedstaaten, können aber mit Zweidrittelmehrheit dagegen vorgehen. Der Rat hat jetzt vorgeschlagen, dass dies auch mit einem Drittel der Mitgliedstaaten möglich sein soll. Ein Drittel könnte also Maßnahmen blockieren.
"Mein Problem ist, dass die alle mit Orbán gar nicht reden. Die nehmen immer Rutte und Co. ins Gebet. Aber ich habe noch nirgendwo gelesen, dass sie mal mit Orbán ein ernstes Wort reden."
Das Hauptproblem sei aber, dass viele Staaten gar nicht mit dem ungarischen Premierminister sprechen und ihm damit ermöglichen, einfach auf seiner Position zu beharren, sagt Katarina Barley. Orbán habe sich von Anfang an sehr klar positioniert und gesagt: Passt mal auf, an das Thema geht ihr am besten gar nicht ran, sonst blockiere ich alles.
Kaum Gespräche mit Orbán
Und er habe mit Polen und auch Slowenien andere Länder im Rücken, die ihn unterstützen. Scheinbar habe er seine Position so deutlich rübergebracht, dass viele Staaten denken, mit ihm zu sprechen, mache gar keinen Sinn. Doch auch Viktor Orbán wolle Geld für sein Land und wolle, dass es vorwärtsgeht.
Es geht um die Europäischen Union. Das müsse man auch Viktor Orbán sagen, findet die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments.
"Viktor Orbán redet immer von Solidarität. Ich habe noch nicht gesehen, wo er solidarisch ist."