In Brüssel und Straßburg ist gerade ordentlich was los: Belgische Ermittler haben in den vergangenen Tagen 16 Häuser in Brüssel durchsucht und 600.000 Euro Bargeld beschlagnahmt. EU-Politiker*innen wurden verhaftet und sitzen in Untersuchungshaft. Vorwurf: Korruption. Was das für Europa bedeutet, darüber haben wir mit Katarina Barley gesprochen, der Vizepräsidentin des EU-Parlaments.
Es ist möglicherweise der größte Korruptionsskandal der bisherigen EU-Geschichte. Annalena Baerbock spricht von einem "unglaublichen Vorfall", Olaf Scholz ist "entsetzt". Es geht um mutmaßliche Korruptionsversuche eines Golfstaates: Im Verdacht steht Katar, das alle Anschuldigungen scharf zurückweist.
Die griechische Abgeordnete Eva Kaili, Vizepräsidentin des Parlaments, hatte im Parlament mehrfach äußerst positiv über Katar gesprochen. Außerdem hatte sie im Innenausschuss bei einer Abstimmung über erleichterte Visaregeln unter anderem für Katar teilgenommen, obwohl sie gar nicht Mitglied des Ausschusses war. Inzwischen wurde Kaili aus der Pasok-Partei der griechischen Sozialisten ausgeschlossen, ebenso aus der sozialdemokratischen Fraktion des EU-Parlaments. Dieser gehört auch Katarina Barley (SPD) an, die deutsche Vizepräsidentin des EU-Parlaments.
"Auf die Idee, dass Abgeordnete hunderttausende Euro in bar in irgendeiner Wohnung lagern, auf die Idee kommt man so schnell nicht, das können Sie mir glauben."
Das EU-Parlament hat 705 Abgeordnete. Diese kommen aus sehr verschiedenen Ländern mit sehr verschiedenen Kulturen, seien also sehr viel unterschiedlicher als zum Beispiel im Bundestag, sagt Katarina Barley. Da gebe es also "immer mal ein paar, die auch ein bisschen wunderlich sind".
Eva Kaili, der "schräge Vogel"
Eva Kaili habe zu diesem Kreis gehört und sei als “schräger Vogel“ bekannt gewesen. In sehr vielen Punkten, thematisch "quer durch den Gemüsegarten", habe sie sich nicht an die Fraktionslinie der Progressive Alliance of Socialists & Democrats (S&D) im EU-Parlament gehalten, sondern eher die Konservativen unterstützt. Das habe politisch vor allem mit ihrem Heimatland Griechenland zu tun.
"Im EU-Parlament gibt es immer mal ein paar, die auch ein bisschen wunderlich sind. Eva Kaili war eher als so ein schräger Vogel bekannt."
Man habe sich bei Eva Kaili nie sicher sein können, ob sie der S&D-Fraktion folgt, das sei "immer ein Problem" gewesen, sagt Katarina Barley. Als sie neu im EU-Parlament war, sei einer der ersten Sätze über Kaili gewesen: "Die ist eigentlich nicht wirklich eine von uns. Das ist keine echte Sozialdemokratin." In der S&D-Fraktionssitzung vom 12. Dezember 2022 sei zur Sprache gekommen, dass die griechische Pasok-Partei schon länger plante, sie auszuschließen.
Transparenzregeln zu ändern, reicht nicht
Sich mit Regierungen zu unterhalten, sei der Job von EU-Politiker*innen, gerade von denen, die sich mit auswärtiger Politik beschäftigen, sagt Katarina Barley. Eva Kaili war Teil der Delegation, die die EU-Beziehungen zur arabischen Halbinsel ausbauen sollte. Aus ihren Verbindungen zu Katar habe sie keinen Hehl gemacht. Dass sie sich mit Kataris und Vertretern der Vereinigten Arabischen Emirate trifft, habe sie in ihren Reden gesagt und auch auf Social Media gepostet.
"Man darf sich nicht vormachen: Man ändert jetzt zwei, drei Regeln, und dann ist alles gut. Wo so eine kriminelle Energie am Werk ist, da helfen Verhaltensvorschriften auch nicht."
Natürlich seien "ganz, ganz strenge Vorschriften" nötig – und die EU sei da auch bereits viel strenger als beispielsweise der Bundestag. Doch schärfere Transparenzregeln könnten im Fall von bewusster krimineller Energie auch nicht helfen.
Zuwendungen sind streng verboten
Ein Transparenzregister diene dazu, nachvollziehen zu können, welche verschiedenen Interessen in ein Gesetz eingeflossen sind und auf wen welcher Einfluss ausgeübt worden ist. Beispiel: Ein Politiker, der sich mit einem Gesetzentwurf zum Thema Energiepolitik beschäftigt, spricht mit Windenergie-Firmen genauso wie mit Erdöl-Unternehmen, erklärt Barley. Im Lobbyregister muss er dann angeben, mit wem er sich getroffen hat – und auch die Firmen müssen angeben, wie viele Personen und wieviel Geld sie eingesetzt haben.
Zuwendungen jeglicher Art dürften EU-Politiker*innen unabhängig davon nicht annehmen – weder von Regierungen noch von Unternehmen, NGOs oder Privatpersonen. Das sei verboten und eine Straftat, stellt Katarina Barley klar. Und solche schreibe man eher selten in ein Transparenzregister.
"Vorwürfe schonungslos aufklären"
Das Entscheidende sei, dass die EU als Institution sofort und konsequent handelt und sämtliche Vorwürfe schonungslos aufklärt. Außerdem seien neue Kontaktstellen im Gespräch, an die sich Menschen wenden können, wenn ihnen etwas komisch vorkommt.