Ein mutmaßlich 15-jähriger Flüchtling ersticht seine gleichaltrige Ex-Freundin. Die Beziehungstat löst eine politische Debatte aus, die auch von Rechten instrumentalisiert wird. Der Gewalt- und Konfliktforscher Andreas Zick findet, dass die Politik in so einer Situation anders handeln müsse.

Mit einem Trauergottesdienst haben heute (11.01.2018) Familie Freunde und viele Einwohner der Kleinstadt Kandel in der Pfalz von einer 15-Jährigen Abschied genommen. Das Mädchen wurde vor gut zwei Wochen durch eine Messerattacke - vermutlich durch ihren Ex-Freund - in einem Drogeriemarkt getötet. Der mutmaßliche Täter ist 2016 als minderjähriger Flüchtling nach Deutschland gekommen. 

Nach der Tat ist die Stimmung gegen Flüchtlinge in Kandel ziemlich gekippt. Die NPD hat dort zu einer Demonstration aufgerufen. Außerdem haben der Bürgermeister und sogar die Eltern des Opfers Morddrohungen bekommen.

"Dieser Fall war ein Beweis für diverse Vorurteile, aber auch Verschwörungsmythen."
Andreas Zick, Gewalt- und Konfliktforscher

Der Gewalt und Konfliktforscher Andreas Zick sagt, um zu verstehen, was da gerade in Kandel passiert, müssen wir ein bisschen zurückblicken: "Direkt nach dem Mord in Kandel, haben wir in den sozialen Netzwerken eine immense Diskussion erlebt." Das heißt, dieser Fall landete in rechtsextremen und rechtspopulistischen Netzwerken.

Und irgendwann verlasse so eine Diskussion dann das Netz. "Das heißt, da werden dann Verabredungen getroffen, ein Zeichen zu setzen", so Zick. In Kandel hat die NPD dann zur Demonstration aufgerufen.

"Unsicherheit muss man begegnen mit Information. Die Menschen wollen wissen: Was ist passiert? Was sind die möglichen Erklärungsfaktoren?"
Andreas Zick, Gewalt- und Konfliktforscher

Die Bevölkerung in Kandel ist inzwischen sehr verunsichert. Und auf der anderen Seite diskutieren Politiker über Sicherheitsthemen und über die Altersbestimmung bei Flüchtlingen. Andreas Zick findet, dass das nicht der richtige Umgang mit diesem emotionalen Thema sei.

Andreas Zick sagt, eigentlich würden Menschen in so einer emotional aufgeladenen Situation nach Informationen suchen, die ihnen versichern: Keine Sorge, Du brauchst dich nicht fürchten. In Kandel sei aber genau das Gegenteil passiert. Der Wissenschaftler ist der Meinung, dass das Flüchtlingsheim nun eigentlich geöffnet werden müsse: Es sei wichtig, die Geflüchteten mit den Einwohnern in Kontakt zu bringen, damit sie nicht eine erhöhte Gefahr durch Flüchtlinge sehen würden.

Ein Weg sei es zum Beispiel, gemeinsam mit anderen Flüchtlingen Blumen niederzulegen und der Opfer zu gedenken. "Da sehen wir, das mindert zugleich auch die Angst."

Was besser laufen könnte:

Andreas Zick sagt, folgende Punkte seien wichtig in so einer Situation wie nach dem Mord in Kandel:

  • Erstens müsse die Politik sagen: Wir müssen dieses Verbrechen aufklären, wir haben ein rechtsstaatliches System.
  • Zweitens müsse sie die Opfer schützen, in diesem Fall die Familie, die eine Tochter verloren hat.
  • Und drittens müsse sehr schnell klar gemacht werden, dass die Tat eines Einzelnen nicht vorschnell zur Verurteilung einer ganzen Gruppe führen dürfe, dass Politiker aber bemüht seien, sich um weitere Aufklärung zu kümmern
  • Und vor allem müsse die Kommune dabei unterstützt werden, weitere Nachforschungen anzustellen, ob zum Beispiel bestimmte Flüchtlingsgruppen besonders gefährdet sind.
"Wenn man mal die Jugendämter fragt, die sind relativ gut in ihrer Alterseinschätzung. Die sind gar nicht so schlecht. Und die Information, dass die relativ gut erkennen können, ob sie betrogen werden oder nicht, das hilft dann."
Andreas Zick, Gewalt- und Konfliktforscher

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Shownotes
Kandel
Neben Trauer auch Hass und Einschüchterung
vom 11. Januar 2018
Gesprächspartner: 
Andreas Zick, Leiter des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Uni Bielefeld
Moderatorin: 
Sonja Meschkat