• Deutschlandfunk App
  • ARD Audiothek
  • Spotify
  • Apple Podcasts
  • Abonnieren

Kalorien prägen unsere Vorstellung von gutem Essen und von Körpern. Die Historikerin Nina Mackert beschreibt in ihrem Vortrag, wie die Maßeinheit Kalorie seit dem 19. Jahrhundert dazu beiträgt, Gesellschaft zu ordnen.

Im 19. Jahrhundert begann die Ernährungswissenschaft den Kalorienbedarf von Menschen zu bestimmen. Nina Mackert ist Historikerin am interdisziplinären "LeipzigLab – Global Health" und erforscht die Geschichte der Kalorien. In ihrem Vortrag beschreibt sie, wie das Wissen über den Kalorienbedarf von Arbeitern genutzt wurde, um Lohnforderungen zu drücken. Hunger und Mangelernährung wurden damit zu einer Frage schlechten Wirtschaftens und damit der persönlichen Verantwortung, erklärt die Historikerin: "Die Kalorie war von Beginn an ein Mittel, um gesellschaftliche Differenz zu produzieren."

"Im späten 19. Jahrhundert intervenierten Ernährungsstudien und Kalorienforschung direkt in Lohndebatten und wirkten gegen Forderungen nach Lohnerhöhung."
Nina Mackert, Historikerin

Um 1900 wurde dann Übergewicht ein neues Problem der entstehenden Mittelklasse. Menschen mit Übergewicht galten als willensschwach und unpatriotisch, denn sie würden Nahrung horten, die die Soldaten in Europa brauchen würden, so die Argumentation der US-Regierung im ersten Weltkrieg, erklärt Nina Mackert in ihrem Vortrag.

"Kalorien produzierten Wissen über Körper und gesellschaftliche Prozesse, die damit steuer- und regierbar zu werden versprachen."
Nina Mackert, Historikerin

Mit der Erfindung der Kalorie rückte die Eigenverantwortung ins Zentrum der Diätratgeber. Die Ratgeber versprachen individuelle Autonomie und Wahlfreiheit, denn das Kalorienzählen erlaubte grundsätzlich alles zu essen, es kommt nur auf die Menge an, so die Historikerin.

Diäten gab es früher nur für Männer

Die ersten Abnehmdiäten im späten 19. Jahrhundert richteten sich nur an Männer, denn die dafür notwendige Selbstdisziplin wurde Frauen abgesprochen, sagt Nina Mackert. "Frauen sollten außerdem rund und weich bleiben, denn das stand für Fruchtbarkeit und Geschlechterdifferenz", sagt sie. Aus heutiger Perspektive klingt es ironisch, aber das Recht auf Diäten war damals eine feministische Forderung, erklärt die Historikerin.

"Die fürs Kalorienzählen als so zentral begriffene Selbstkontrolle und körperliche Disziplin war nahezu exklusiv mit weißer Männlichkeit verknüpft und wurde Frauen und People of Color abgesprochen."
Nina Mackert, Historikerin

Nina Mackert ist Historikerin am interdisziplinären "LeipzigLab - Global Health". Ihren Vortrag "Die Vermessung des Essens. Wie viel Geschichte im Kalorienzählen steckt" hat sie am 2. Februar 2024 an der Uni Leipzig gehalten.

Shownotes
Kalorien
Die Vermessung des Essens
vom 22. März 2024
Moderatorin: 
Nina Bust-Bartels
Vortragende: 
Nina Mackert, Historikerin am "LeipzigLab – Global Health"
Quellen aus der Folge: