Pro Jahr werden in Australien mindestens eine Million Kängurus getötet. Die Behörden und Farmer rechtfertigen die Jagd auf die Tiere mit der bestehenden Überpopulation. Tierschützer sehen dagegen den Handel mit Kängurufleisch als eine der größten Ursachen.
Wie viele Kängurus es in Australien genau gibt, das kann niemand wirklich sagen. Schätzungsweise kommen auf 25 Millionen Einwohner zwischen 45 und 50 Millionen Kängurus, die Zahlen schwankten in den letzten Jahren stark. Ganz gleich, wie die genaue Zahl lautet: für die Behörden und viele Farmer sind das deutlich zu viele Tiere.
"In Australien kommen angeblich rund 50 Millionen Kängurus auf 25 Millionen Einwohner. Und das sind nach Ansicht von Behörden und vielen Farmern einfach zu viele."
Vor allem die sogenannten Graziers, australische Viehzüchter, beschweren sich häufig, dass gerade in Dürrezeiten ihre Ländereien von den Kängurus überrannt würden, erzählt der Biologe Mario Ludwig. Die Kängurus würden nicht nur das mühsam angepflanzte Getreide fressen, sondern auch Nahrung und Wasser der Schafe und Kühe klauen. Auch die Versicherungen in Australien klagen, dass 80 Prozent der mehr als 20.000 Wildunfälle im Jahr Zusammenstöße mit Kängurus sind.
Tierschützer kritisieren dagegen, dass die Jagd auf Kängurus ein Produkt der kommerziellen Känguru-Verwertungsindustrie sei, die durch die jährlichen Massentötungen große Profite erzielen würde.
Känguru-Jagdfreigabe seit 2008
Bereits seit zwölf Jahren sind Kängurus in einigen australischen Bundesstaaten offiziell zum Jagen freigegeben. Nach Aussagen der Naturschutzorganisation Pro Wildlife werden pro Jahr etwa eine Million Kängurus getötet. Die staatlich erlaubten Abschussquoten liegen mit beispielsweise 7,2 Millionen aus dem Jahr 2017 sogar deutlich höher, sagt Mario Ludwig.
Da Kängurus außer weniger Dingos keine natürlichen Feinde zu fürchten haben, wurde die gezielte Bejagung der Tiere von den Behörden angeordnet. Dadurch solle das ökonomische Gleichgewicht wiederhergestellt werden. Für die Farmer könne so die Kängurupopulation auf ein "gesundes Niveau" reduziert werden, zitiert Mario Ludwig die Behörden.
"Durch eine gezielte Bejagung, so die Behörden, soll nicht nur das ökologische Gleichgewicht erhalten werden, sondern es soll auch die Kängurupopulation auf ein für die Farmer erträgliches Maß, ein sogenanntes 'gesundes Niveau' reduziert werden."
Deshalb können Farmer lizensierte Jäger engagieren, die die Kängurus auf dem persönlichen Landgut abschießen. Für die Jäger gibt es sogar offizielle Anweisungen, wie und mit welchen Waffen sie die Kängurus jagen dürfen.
Protest von Tierschützern
Tierschutzorganisationen wie die Australian Society for Kangaroos bestreiten, dass die geschätzte Zahl der existierenden Kängurus überhaupt realistisch ist. Auch die Behauptung, dass sich Kängurus ungehemmt vermehren würden, stimme nicht.
"Die Tierschutzorganisationen, wie zum Beispiel die 'Australian Society for Kangaroos' bestreiten zunächst mal, dass es überhaupt so viele Kängurus in Australien gibt."
Die Massenvermehrung sei deshalb schon unmöglich, weil eine Kängurupopulation selbst unter optimalen Bedingungen jährlich nur um zehn bis 15 Prozent wachsen könne. Das liege auch an der hohen Sterblichkeitsrate unter Jungtieren.
Kritik an Behörden und Farmern
Außerdem kritisieren Naturschutzorganisationen die Aussagen von Farmern und Behörden zu Schäden in der Vieh- und Landwirtschaft. Dazu führen sie mehrere Studien an, die diese Behauptungen widerlegen sollen, sagt Mario Ludwig.
Eine Studie von zwei Forscherinnen der Universität Sidney, die vom "Kangaroo Management Programm" von New South Wales in Auftrag gegeben wurde, stellte beispielsweise fest, dass Kängurus nur selten mit Rindern und Schafen um Weideflächen konkurrieren. Auch das Einbrechen in Getreidefelder durch Kängurus geschehe nur relativ selten, sagt eine andere Studie, die im Magazin Wildlife Research veröffentlicht wurde.
Unsichere Datenlage
Das größte Problem in der Debatte um die gejagten Kängurus ist, dass sowohl die Farmer und ihre Lobby als auch die Tierschützer keine exakten Zahlen zur Kängurubevölkerung in Australien vorlegen können, sondern nur mit Schätzungen arbeiten, sagt Mario Ludwig.
"Das Problem an der ganzen Diskussion besteht darin, dass, wenn es um die tatsächliche Anzahl der Kängurus in Australien geht, es keine belastbaren Zahlen gibt und sowohl die Farmer und ihre Lobby als auch die Naturschutzorganisationen mit Schätzungen arbeiten."
Jagd für kommerzielle Zwecke
Die Australian Society for Kangaroos sehe neben den Schäden für die Vieh- und Landwirtschaft noch einen bedeutenderen Grund für die Massentötung der Tiere: Die Känguru-Verwertungsindustrie, die mit dem Verkauf von Kängurufleisch- und leder jährlich große Summen Geld verdienen würde.
"Die Känguruschützer sagen, in Wahrheit ginge es gar nicht um den Schutz von Feldern und die Ausschaltung von Nahrungskonkurrenten für Rinder und Schafe, sondern um den Profit einer kommerziellen Känguru-Verwertungsindustrie."
Dabei ist Europa mit 80 Prozent der größte Abnehmer von Kängurufleisch aus Australien. Im Land selbst sei das Fleisch dagegen in manchen Schichten ein "Arme-Leute-Essen" und wird deshalb oft nur zu Tierfutter verarbeitet, erzählt Mario Ludwig.