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Knapp dreißig Richter am Obersten Gericht in Polen sollen in den Zwangsruhestand: Sie wehren sich, Bürger protestieren - und auch die EU.

Polens rechtsnationale Regierung möchte fast die Hälfte der Richter am Obersten Gerichtshof des Landes in den Zwangsruhestand schicken. Die Vorsitzende Richterin Małgorzata Gersdorf widersetzt sich. Sie ist zur Arbeit erschienen und protestiert damit gegen den Versuch, sie in den Ruhestand zu schicken – unterstützt von Tausenden Demonstranten in Warschau. Regierungschef Mateusz Morawiecki beharrt im Europaparlament auf Polens Anspruch auf ein "Rechtssystem gemäß seiner eigenen Traditionen".

Wir haben mit Florian Kellermann, unserem Korrespondenten in Warschau, gesprochen. Er sagt, dass die rechtsnationale PiS-Regierung  sich an der Unabhängigkeit der Richter stört. Die Unabhängigkeit der Justiz ist eines der Grundprinzipien des Rechtsstaats.

"Die Richter sind nicht von einer Partei in dieses Amt gehievt worden, sondern sie sind von Richtern selber dahin gebracht worden."
Florian Kellermann, Korrespondent in Warschau

Sie mische sich nicht in die Politik ein, sagte Małgorzata Gersdorf, als sie am Morgen des 4. Juli den Sitz des Obersten Gerichtshofs in Warschau betreten hat. Sie wolle aber für die Rechtsstaatlichkeit in Polen kämpfen und "die Grenze zwischen der Verfassung und dem Verstoß gegen die Verfassung aufzeigen".

Das umstrittene Gesetz, das am 4. Juli in Kraft getreten ist, schickt 27 der 73 Richter am Obersten Gerichtshof in den Zwangsruhestand, die älter als 65 Jahre sind. Bisher hat die Altersgrenze bei 70 Jahren gelegen. Neben Małgorzata Gersdorf haben weitere Richter angekündigt, sich zu widersetzen. Sie fürchten, dass die Justiz für politische Verfahren und Schauprozesse missbraucht werden könnte. Ein denkbares Szenario: PiS-Politiker haben bereits angekündigt, dass sie den ehemaligen Ministerpräsidenten Donald Tusk anklagen möchten.

"Einige PiS-Politiker haben gesagt, sie würden den ehemaligen Ministerpräsidenten Donald Tusk gerne vor Gericht sehen, weil sie ihn für mitverantwortlich an einem Flugzeugabsturz halten."
Florian Kellermann, Korrespondent in Warschau

Der polnische Präsident Andrzej Duda – ebenfalls von der PiS – hat einen Ersatzrichter für Małgorzata Gersdorf ernannt. Małgorzata Gersdorf wiederum hat den Ersatzrichter zu ihrem Vertreter ernannt und damit bekräftigt, dass sie das Amt weiterhin beansprucht.

Der Zwangsruhestand für Oberste Richter gehört zu einer Reihe umstrittener Justizreformen in Polen. Die EU-Kommission protestiert seit 2016 gegen die Maßnahmen der polnischen Regierung, weil die Reformen die Unabhängigkeit der Justiz beschneiden würden. Wegen der Einflussnahme auf das Oberste Gericht hat die Kommission am 2. Juli 2018 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen eingeleitet.

Anfang 2016 hat Brüssel erstmals in der EU-Geschichte ein Verfahren zur Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit eingeleitet, weil die Regierung in Warschau die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts beschnitten hat. Im Dezember des selben Jahres ist dann ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet worden. Der Vorwurf: Die Befugnisse des Justizministers bei der Besetzung von Richterposten sind unrechtmäßig ausgeweitet worden.

Ein Vertragsverletzungsverfahren kann theoretisch bis zum Entzug von Stimmrechten auf EU-Ebene führen. Das Votum darüber muss allerdings einstimmig fallen. Das ebenfalls rechtsnational regierte Ungarn hat bereits angekündigt, Sanktionen gegen Warschau nicht mitzutragen.

"Es könnte zu einem Rechtsstreit führen, der so massiv ist, wie ihn die Europäische Union noch nicht erlebt hat."
Florian Kellermann, Korrespondent in Warschau

Mehr zum Thema Justiz in Polen bei Deutschlandfunk Nova:

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Shownotes
Justizumbau in Polen
Abschied vom Rechtsstaat - die Fortsetzung
vom 04. Juli 2018
Moderatorin: 
Sonja Meschkat
Gesprächspartner: 
Florian Kellermann, Korrespondent in Warschau