Die EU-Kommission hat ein Strafverfahren gegen Polen eingeleitet. Es ist die nächste Stufe in der Auseinandersetzung um die umstrittene polnische Justizreform. Ob Polen damit tatsächlich der Entzug des Stimmrechts droht, ist ungewiss.

Es ist das erste Mal, dass die EU ein Sanktionsverfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrages einleitet. Es richtet sich gegen die umstrittene Justizreform in Polen. So sei in den vergangenen drei Jahren eine Vielzahl von Gesetzen eingeführt worden, die die Unabhängigkeit der Rechtsstaatlichkeit in Polen massiv beeinflussten, sagte der Vizepräsident der EU-Kommission Frans Timmermans. 

"Nuclear Option"

In letzter Konsequenz könnte das Verfahren bedeuten, dass Polen sein Stimmrecht innerhalb der EU verliert. In Artikel 7 ist diese Intervention festgelegt. Sie wird auch als "Nuclear Option" bezeichnet. Der bedrohlich klingende Begriff soll allerdings lediglich verdeutlichen, dass es sich um das letzte Mittel handelt, ein Mitgliedsland zum Einlenken zu bewegen.

"Es ist auch eher eine nukleare Option mit eingebauten Strahlenmantel", sagt Bettina Klein, Deutschlandfunk-Nova-Korrespondentin in Brüssel. So viel passiere für Polen zunächst nicht, beschreibt die Korrespondentin. Zudem stecke in diesem Verfahren  ein erneutes Angebot an Polen, die Empfehlungen der EU in den nächsten drei Monaten umzusetzen.

"Es ist im normalen Prozedere dessen, was die EU anwenden kann. Auch wenn es bisher noch nie angewendet wurde."
Bettina Klein, Korrespondentin in Brüssel

Die ersten Reaktionen aus Polen gaben sich zunächst unbeeindruckt vom eingeleiteten Verfahren. Der polnische Premier Mateusz Morawiecki kündigte an, weiter diskussionsbereit zu sein. Inwieweit sich die polnische Regierung tatsächlich auf die Empfehlung einlasse, sei völlig ungewiss, sagt Bettina Klein. "Die europäische Kommission hat ja über zwei Jahre hinweg versucht, einen Dialog voranzubringen und die polnische Regierung zu überzeugen, dass sie sich an rechtsstaatliche Beziehungen halten muss." 

Eine gestrichelte rote Linie

Wie genau der Prozess weitergeht, wird das nächste Jahr zeigen. Die EU hat mehrere Möglichkeiten weiter vorzugehen, erklärt Bettina Klein. So ist zunächst ein offizieller Beschluss das EU-Rates möglich, dass eine die Gefahr für eine schwer wiegende Verletzung der im EU-Vertrag unter Artikel 2 fixierten Werte bestehe. Das sind auszugsweise etwa "Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit." 

Für einen solchen Beschluss wäre eine Vierfünftel-Mehrheit der Mitgliedstaaten notwendig, 22 Länder müssten demnach zustimmen, so Bettina Klein. Anders, wenn es um den Entzug des Stimmrecht geht, hier müssten alle Mitglieder zustimmen. Diese Einstimmigkeit werde jedoch im Moment durch Ungarn verhindert.

"Das ist wirklich die letzte Zündstufe: Um einem EU-Mitgliedsland die Stimmrechte zu entziehen ist Einstimmigkeit nötig."
Bettina Klein, Korrespondentin in Brüssel

Kritik an der heutigen Entscheidung kommt von unterschiedlicher Seite mit dem Argument, die EU würde polnischen EU-Gegnern quasi Futter für ihre Vorbehalte geben. "Die EU musste, um glaubwürdig zu bleiben, hier eine, wenn auch nur gestrichelte, rote Linie ziehen", lautet die Einschätzung von Bettina Klein in Brüssel.

Shownotes
Strafverfahren wegen Justizreform
EU gegen Polen
vom 20. Dezember 2017
Moderator: 
Thilo Jahn
Gesprächspartnerin: 
Bettina Klein, Deutschlandfunk-Nova-Korrespondentin in Brüssel