Die Richterin Rosemarie Aquilina wird in den USA gerade als Heldin gefeiert, weil sie in der Urteilsbegründung in einem Missbrauchsprozess sehr deutliche Worte an einen Schuldigen richtete.
Der Prozess gegen Larry Nassar, den ehemaligen Teamarzt des US-Turnverbandes, war aufsehenerregend. Nicht nur weil es um einen extremen Fall sexuellen Missbrauchs ging und Nassar zu 175 Jahren Haft verurteilt wurde, sondern auch weil die Richterin Rosemarie Aquilina während des Prozesses und nach der Urteilsverkündung nicht mit ihrer Meinung zu Nassar zurückhielt. Sie sagte zum Beispiel: "Ich würde nicht einmal meine Hunde zu Ihnen schicken." Und: "Sie verdienen es nicht, jemals wieder das Gefängnis zu verlassen. Ich habe gerade Ihr Todesurteil unterschrieben."
Meinungsäußerung entlang der roten Linie
Ulf Buermeyer, Richter am Landgericht Berlin, denkt, dass die Richterin weit über das Normale hinausgegangen sei, weil sie einen sehr emotionalen Tonfall angeschlagen habe. Allerdings gibt er auch zu bedenken: "Man muss dabei berücksichtigen, dass es nicht mehr um die Hauptverhandlung ging, sondern um die Urteilsverkündung", sagt Buermeyer.
"In der Hauptverhandlung wären solche Äußerungen sowohl in den USA als auch in Deutschland völlig undenkbar."
In Deutschland gibt es die Regel, dass der Richter oder die Richterin keine Gründe liefern dürfen, die an ihrer Unparteilichkeit zweifeln lassen. In einer Urteilsverkündung sei das aber etwas anderes, dort dürfen Richter auch deutliche Worte aussprechen.
"Ich finde das schon eine sehr bedenklich deutliche Formulierung."
Ulf Buermeyer kann nicht genau abschätzen, inwiefern die Richterin Aquilina so deutliche Worte geäußert hat, weil auch die Medien live über die Urteilsverkündung berichtet hatten. Seiner Meinung nach habe sie mit ihren Worten jedoch "eine rote Linie touchiert, wenn nicht sogar überschritten."
"Ich bin ja auch jemand, der deutlich politisch Position einnimmt - aber nie in den Fällen, in denen ich als Richter tätig bin."
Empathie im Gericht ist Okay, Parteinahme nicht
Empathie bei der Befragung von Opfern und Zeugen sei erwünscht, sagt Buermeyer, aber es gebe einen großen Unterschied zwischen einer einfühlsamen, empathischen Befragung und einem Sich-gemein-Machen mit einer Zeugin oder einem Zeugen. Richter sollten eine gewisse professionelle Distanz wahren.
"Man muss natürlich versuchen, sich hineinzufühlen in die Situation. Aber man darf das, was da erzählt im Gerichtssaal wird, auch nicht unmittelbar für bare Münze nehmen."
Ulf Buermeyer kann sich an einen Fall erinnern, in dem er als Richter fest davon überzeugt war, dass eine Zeugin das Gericht jetzt gerade schamlos angelogen hatte. Das Gericht hat die Zeugin dafür auch vor einem anderen Gericht angeklagt, allerdings wurde die Frau später frei gesprochen. Der Richter sagt, diese Situationen seien alles andere als einfach, aber man müsse dennoch einen kühlen Kopf bewahren: "Das ist die richterliche Aufgabe."
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