Julia Ebner ist Extremismus- und Terrorismusforscherin. Sie hat sich undercover unter Islamisten und Rechtsextreme begeben. Dabei ist ihr klar geworden, wie ähnlich sich beide radikalen Szenen sind.
Julia Ebner ist 26 Jahre alt. Sie beschäftigt sich schon seit Jahren mit Extremisten und wie sie sich radikalisieren. Heute forscht sie beim Institute for Strategic Dialogue (ISD) in London, davor arbeitete sie zwei Jahre lang bei Quilliam, einer Organisation zur Extremismusprävention, die von ehemaligen Islamisten gegründet wurde.
"Der erste Schritt zur Bekämpfung des Extremismus besteht darin, den Geschichten von Extremisten zuzuhören", schreibt sie in ihrem Buch "Wut. Was Islamisten und Rechtsextreme mit uns machen". 2016 beschließt sie also, sich in beide Szenen einzuschleusen, zu wissenschaftlichen Zwecken. Denn in ihren Interviews merkt sie immer wieder: Sobald sie sich als Forscherin ausgibt, stößt sie an Grenzen, kommt nicht nah genug an die Leute heran.
"Ich wollte aus moralischer Sicht nie etwas sagen oder tun, was zu einer weiteren Radikalisierung beitragen könnte. Deswegen habe ich mich eher in einer beobachtenden, naiven Sympathisanten-Rolle gesehen."
Für ihr Projekt recherchiert sie hauptsächlich in Großbritannien, sieht sich aber auch Gruppierungen in Frankreich oder Deutschland an. "Am 5. November 2016 gab ich mich zum ersten Mal als muslimfeindliche Ultranationalistin aus", sagt sie. Sie spielt die neugierige, junge Frau, die mitmachen und dabei sein will.
Die drei Identitäten der Julia
Auf ihrer Undercover-Recherche hat sie sich sehr gut vorbereitet. Um nicht aufzufliegen, musste sie sich mit ihren eigenen - nicht realen - Geschichten auseinandersetzen und sich eine neue Online-Identität aufbauen. Julia erzählt, dass sie in beiden Szenen - der rechtsextremen wie der islamistischen - sehr herzlich aufgenommen wurde. Sehr verwunderlich ist das nicht, schließlich wollen die Gruppen ja wachsen und "so viele Menschen wie möglich mobilisieren", wie Julia sagt.
"Sie haben dann auch tatsächlich versucht, mich zu rekrutieren und deswegen auch sehr viel mit mir geteilt."
In der Opferrolle
Während Julia sich ihre Fake-Identitäten zurechtbastelt, fallen ihr Gemeinsamkeiten zwischen den beiden unterschiedlichen extremen Gruppen auf: Sowohl Rechtsextreme wie Islamisten würden sich sehr stark in der Opferrolle sehen, sagt sie. Sie fühlen sich von außen bedroht - in ihrer "Identität oder Kultur oder Religion oder Rasse".
Bei den Islamisten ging es beispielsweise immer wieder um die vermeintliche Unterdrückung der Muslime weltweit, während die rechtsextreme Seite immer wieder von einer Invasion Europas durch Muslime oder Migranten sprach. Auf beiden Seiten sei die Rede von "globalen, jüdischen Eliten" oder den Medien, die sich gegen einen verschworen haben. Und noch eine Gemeinsamkeit gebe es: Beide Gruppen wollten Chaos erzeugen und die Gesellschaft so weit spalten, dass sie selbst davon profitieren, so die Forscherin.
"Bei beiden Gruppen ging es sehr stark darum, dass ihre Identität durch ein Äußeres, durch eine Fremdgruppe, gefährdet sei."
Julia findet in beiden Szenen Leute, die genau wissen, wie man soziale Medien benutzt, Algorithmen austrickst, Meinungen streut oder Kampagnen fährt. Außerdem trifft sie sehr gebildete und belesene Extremisten. "Das hat einige der Vorurteile beendet, die ich vorher hatte." Die Rechtsextremen hätten sich teils sehr gut mit den Entwicklungen im Nahen und Mittleren Osten oder dem IS ausgekannt, teils auch den Koran gelesen.
Die Gruppe wird zum Familienersatz
Schwierig wird es für Julia, als sie die persönlichen Geschichten einzelner hört: Fast habe sie nachvollziehen können, wie jemand in extremistischen Netzwerken landet, sagt sie. Die Beweggründe seien gut nachvollziehbar. Sie entwickelt teils echte Sympathie. Und genau so funktioniert der Einstieg in die Szene wohl für viele - denn die Gruppe fungiert oft als Familienersatz.
"Sie haben ein sehr starkes Zugehörigkeitsgefühl in diesen Gruppen", sagt Julia. Das mache es so attraktiv für Menschen, die nach einer Zugehörigkeit suchen. Und darum sei auch der Ausstieg so hart: "Nicht nur, weil es so schwer ist, diese Ideologien abzulegen, sondern, weil das gesamte soziale Netzwerk dann aus Extremisten besteht."
Was Extremisten mit uns machen
Auf gesellschaftlicher Ebene, sagt Julia, sind Extremisten leider recht erfolgreich: Sie lösen Wut aus, sie untergraben unsere Werte, sie schüren Ängste. Die Politik reagiere mit teils drakonischen Maßnahmen. "Diesen Teufelskreis, den sie damit erzeugen, das ist es, was Terroranschläge und diese Art des Extremismus so gefährlich macht." Damit es nicht zu solchen Überreaktionen kommt, müsse die Mitte der Gesellschaft viel deutlicher Stellung beziehen.
"Extremisten provozieren uns zu Überreaktionen."
Im Nachhinein ist Julias Deckung natürlich aufgeflogen, es gab Kampagnen gegen sie, sie wurde bedroht. "Das hat mich anfangs stark verunsichert und eingeschüchtert", erzählt sie - obwohl sie weiß, dass genau das Sinn und Zweck der Sache ist: Forscher, Journalisten oder Aktivisten würden immer wieder bedroht, damit sie nicht gegen die Extremisten arbeiten. "Ich bin nicht die Einzige, die so was durchlebt hat", sagt Julia heute.
Die Begegnungen mit Extremisten hätten ihr - trotz allem - geholfen, wieder mehr daran zu glauben, dass es möglich sei, Leute aus den Netzwerken zurückzugewinnen. Denn auch bei den Hardlinern gebe es "menschliche Dimensionen", Gefühle, wo man ansetzen könne. Beim ISD in London arbeitet sie weiter daran.
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