Über 12.000 Juden leben in Berlin - mehr als in jeder anderen deutschen Stadt. Immer wieder werden jüdische Menschen angegriffen, Synagogen, Friedhöfe oder Stolpersteine beschädigt. Ein großer Teil der jüdischen Gemeinschaft lebt trotzdem gerne in der Stadt. Warum, das haben einige jetzt aufgeschrieben - im Buch "Weil ich hier leben will...".
Jo Frank, 36 Jahre alt, ist in Kiel aufgewachsen und lebt mittlerweile in Berlin. Er findet das Leben in der jüdischen Gemeinschaft derzeit sehr interessant. Denn viele junge Jüdinnen und Juden - meist aus den postsowjetischen Staaten - seien hinzugekommen. Sie wollen, so sagt er, das jüdische Leben und die Gesellschaft insgesamt gestalten. Das könnte auch ein Signal an andere Juden sein, eigene "Diskurse zu setzen".
"Der Umstand, dass junge Jüdinnen und Juden selbstbewusst in die Öffentlichkeit treten und sagen: 'Ich möchte die Gesellschaft mitgestalten', das markiert für uns tatsächlich den Anfang einer neuen Phase dieses Zusammenlebens in der Gesamtgesellschaft."
Selbstbewusst auftreten
Zum 80. Jahrestag der Reichspogromnacht im November 2018 stellt das Buch die Frage: Gibt es im 21. Jahrhundert so etwas wie ein "deutsches Judentum"? Die Autoren im Buch "Weil ich hier leben will...", das von Jo Frank mit herausgegeben wurde, gehen dieser Frage nach. Tobias Herzberg schreibt darin zum Beispiel, warum es für ihn keine Option darstellt, seine Kippa in der Hosentasche zu verstecken. Und Hannah Peaceman plädiert für mehr "Machloket" - also mehr "Streitbarkeit".
Die jüdische Gemeinde in Deutschland verjüngt sich
Jo Frank sagt, jüdisches Leben in Deutschland ist derzeit so vielfältig wie lange nicht mehr - auch das liege an der unterschiedlichen Herkunft der Gemeindemitglieder heute.
"Lange Zeit war es so, dass über Jüdinnen und Juden geredet wurde - sie selbst aber den Diskurs nicht mitgestalten konnten."
Die jüdischen Gemeinden verjüngten sich, es gebe jüdische Studierende und Promovierende, die ihr Judentum selbstbewusst leben, "die sich nicht mit der Frage beschäftigen, ob ich hier leben will, sondern wie", sagt Jo Frank.
Aggressive Stimmung gegen Minderheiten
Dass sich das politische Klima in Deutschland verändert hat, - spätestens seit der letzten Bundestagswahl - das spürt auch Jo Frank: "Man spürt, dass es Kräfte auch innerhalb politischer Vertretungen gibt, die stärker an einer größeren Fragmentierung der Gesellschaft interessiert sind.". Die Stimmungslage sei insgesamt aggressiver und entlade sich an Minderheiten, sagt er.
"Antisemitismus ist nicht das einzige Problem, mit dem wir es zu tun haben."
Sich nicht ausspielen lassen
Antisemitismus ist ein großes Problem, sagt Jo Frank. Er stelle sich aber auch die Frage: Wo werden weitere Minderheiten ausgeschlossen? "Wer sich heute gegen Muslime richtet, der richtet sich morgen gegen Juden", meint er. Sein Appell: Wir alle müssten einstehen für ein vielfältiges Leben und gegen den Ausschluss einzelner Gruppen. Eine Minderheit dürfe nicht gegen eine andere Minderheit ausgespielt werden, sagt Jo Frank auch mit Blick auf die neue Gruppierung "Juden in der AfD": "Wir müssen uns mit anderen Minderheiten immer stärker solidarisieren."
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