Am 30.11.2019 endet für Jean-Claude Juncker - und für die europäische Politik - eine Ära. Nach fünf Jahren als Kommissionspräsident und 15 Jahren EU-Politik zieht sich der Luxemburger zurück. Besonders in Erinnerung bleiben wird uns, wie er die Menschen begrüßt hat, mit denen er zu tun hatte.
Jean-Claude Juncker drückt, würgt, ohrfeigt oder küsst gerne. Seine Begrüßungsformen wurden oft mit Humor aufgenommen, manchmal sorgten sie aber auch für Verwirrung. Wir haben mit Thomas Mayer darüber gesprochen, der seit 30 Jahren als Europakorrespondent für die österreichische Zeitung "Der Standard" in Brüssel ist. Seit Juncker dort arbeitet, begleitet ihn Mayer dort, die beiden sind per Du. Wenn Mayer einen Termin in Junckers Büro hatte, sei ihm dort ein klassisches Ritual zuteilgeworden, berichtet er.
"Juncker begrüßt mich sehr eng: Er umarmt mich sehr fest, küsst mich auf beide Wangen, muntert ein bisschen auf und macht sofort ein Scherzchen."
Juncker sei ein belesener, hintergründiger und ernsthafter Mensch, sagt Thomas Mayer, der den Politiker schätzt. Wenn solche Begrüßungsgesten manchen Beobachtern auch etwas sonderbar vorkommen mögen – er glaube, dass die körperliche Symbolik Junckers Art sei, der Öffentlichkeit unausgesprochen und unvermittelt etwas zu zeigen.
Junckers Körpersprache: Drei Kategorien
Juncker habe ihm mal erzählt, er habe drei Kategorien, wie er Menschen begrüße, erzählt Mayer:
- Leute, die Juncker liebt: Die umarmt und küsst er überschwenglich – zum Beispiel den ehemaligen Parlamentspräsidenten Martin Schulz, den er regelmäßig "auf die Stirn geküsst, heftig umarmt und abgeklopft" hat, so Mayer
- Leute, die Juncker mag und schätzt: Die umarmt er und gönnt ihnen manchmal auch einen Wangenkuss – dazu gehört Bundeskanzlerin Angela Merkel
- Leute , die er nicht mag: Die bekommen keine Zärtlichkeiten, sondern höchstens einen Handschlag – und manchmal hinterher sogar noch eine Watschen. Dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán wurde diese Begrüßung zuteil, dazu gab’s ein "Hallo Diktator"
Juncker hat aber auch Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdoğan geküsst – und hinterher gesagt "Es hat Europa nicht geschadet".
Kuss für Putin und Erdogan
Das sei der typische Schalk, den der Luxemburger im Nacken habe, so Mayer. Juncker habe sich diese kreative und lustige Methode zu eigen gemacht, um schwierige politische Situationen aufzulockern. Sein Verhalten hatte also natürlich auch diplomatische Gründe.
"Mit seiner Methode lockert Juncker schwierige politische Situationen auf. Hinter dem Schalk steckt aber Ernsthaftigkeit."
Juncker habe die Eigenschaft, Menschen zum Lächeln oder Lachen zu bringen. Aus seiner ganzen Erfahrung heraus habe er eine gewisse Lockerheit entwickelt, so Mayer, und sei zu einer Art unverwechselbares "Gesamtkunstwerk" geworden.
Zerwuschelte Haare
In seiner Rolle habe er die Gesten manchmal aber auch überzogen, sagt Mayer – so etwa bei der stellvertretenden Protokollchefin, der Juncker bei einem EU-Gipfel durch die Haare wuschelte. Die Dame schaut danach verstört in die Kameras, macht aber gute Miene zu dem Spiel. Juncker war danach scharf kritisiert worden, die britische Arbeitsministerin Amber Rudd hatte ihm etwa ein "groteskes" und "grauenhaftes" Verhalten vorgeworfen.