Er war Scharia-Richter, Hardliner des Mullah-Staates und radikaler Bekämpfer von Protesten: Präsident Ebrahim Raisi. Nach seinem plötzlichen Tod stellt sich vor allem im Ausland die Frage, ob es für die Menschen im Iran eine Chance auf Veränderung gibt.
Die Frage stellt sich zum Beispiel für Elmira Rafizadeh. Im Alter von fünf Jahren ist sie mit ihrer Mutter aus dem Iran geflohen.
Heute ist sie Schauspielerin und Aktivistin und unterstützt von Deutschland aus die Protestbewegung im Iran, weil ihr Frauenrechte und Menschenrechte wichtig sind.
Sie hat nach den ersten Berichten über das Unglück sehr eindeutige Gefühle und sagt, sie habe gehofft, so makaber sich das anhören möge, dass es nun weniger Tyrannen auf der Erde gebe.
"Wir haben gehofft, so makaber sich das anhören mag, dass es weniger Tyrannen auf der Erde geben sollte.“
Elmiras Familie ist auch persönlich betroffen. Angehörige seien durch dieses Regime ums Leben gekommen.
"Wir haben selber Angehörige, die durch dieses Regime ums Leben gekommen sind oder, um es mal beim Namen zu nennen, staatlich ermordet wurden.“
Man müsse sich immer vor Augen halten, dass der iranische Präsident den Spitznamen Henker, Todesrichter und Schlächter von Teheran hatte und verantwortlich gewesen sei für Massenexekutionen.
Er sei auch beteiligt gewesen an der brutalen Niederschlagung und Ermordung von Protestierenden während der "Women, Life, Freedom"-Bewegung, so Elmira.
"Menschen, die sich für freiheitlich-demokratische Werte seit Jahrzehnten einsetzen, für die ist das natürlich schon ein Stückweit Befreiung und Genugtuung."
Deshalb könne sie auch die Begeisterung im Land über den Tod des Präsidenten nachvollziehen. Elmira ist weiterhin selbst betroffen – sie kann ihre Familie im Iran nicht besuchen, nicht bei Beerdigungen ihrer Großeltern dabei sein.
Doch Elmira macht auch klar, dass die Begeisterung nur von kurzer Dauer sein wird – grundsätzlich wird sich das Regime wohl nicht ändern, denn der eigentliche Machtfaktor im Iran sei der Oberste Religionsführer Ali Khamenei.
"Denn der eigentliche Oberste Religionsführer ist ja Ali Khamenei mit 85 Jahren. Und da wird es natürlich vorerst keine Änderungen geben. Im Gegenteil, es kann jetzt sogar noch viel brutaler im Inland vor sich gehen."
Es gebe schon jetzt erste Meldungen, dass das Internet wieder gedrosselt sei, um zu unterbinden, dass die Mehrheitsbevölkerung den Tod feiere oder durch diese ganzen Memes Spott ausdrücken könnte, so Elmira.
Es sei auch möglich, dass Menschen jetzt wieder verfolgt und verhaftet würden.
Was Elmira noch erzählt hat, hört ihr in dieser Folge des täglichen Nachrichtenpodcasts Unboxing News.
Raisi für blutige Niederschlagung verantwortlich
Dass der verstorbene Präsident Ebrahim Raisi verantwortlich für die blutige Niederschlagung der Protestbewegung sei, betont auch die langjährige ARD-Korrespondentin im Iran, Natalie Amiri.
In seiner Präsidentschaft habe auch die Zahl der Hinrichtungen im Iran zugenommen. Es habe über 40 Prozent mehr Hinrichtungen gegeben als im vergangenen Jahr, sagt Amiri. 2023 habe es in der Islamischen Republik mindestens 853 Hinrichtungen gegeben.
"Es gab über 40 Prozent mehr Hinrichtungen als im vergangenen Jahr. Es gab im letzten Jahr 2023 in der Islamischen Republik mindestens 853 Hinrichtungen.“
Formal sei der Präsident die zweitmächtigste Figur im iranischen Staat. Letztlich bestimme aber der Revolutionsführer.
Er entscheide, ob Israel angegriffen werden soll oder nicht. Wenn der Revolutionsführer einen bestimmten Weg gehen wolle, dann werde der auch umgesetzt, egal welcher Präsident gerade im Amt sei, so Amiri.
Keine Richtungsänderung mit neuem Präsidenten
Natalie Amiri glaubt auch nicht daran, dass sich daran in absehbarer Zeit etwas ändern wird. Der nächste Präsident werde wieder ein Hardliner. Dafür sorge der ultrakonservative Wächterrat. Er sortiere gemäßigtere Kandidaten aus.
Zum Schluss werde eine Handvoll regimetreuer alter Männer übrig bleiben, die dann das Volk wählen solle. Aber das Volk habe gerade in den letzten Jahren gezeigt, dass es diese Praxis nicht mehr legitimieren will, das zeige die geringe Wahlbeteiligung.
"Ich glaube, die größte Herausforderung für das Regime ist gerade, dass sie versuchen müssen, irgendwie die Menschen zu mobilisieren, an die Wahlurnen zu gehen."
Und noch wichtiger als ein neuer Präsident sei die Frage, wer dem Obersten Religionsführer Ali Khamenei nachfolgen werde. Vielleicht, mutmaßt Amiri, werde auch das ganze politische System des Irans umgebaut und es brauche zukünftig keinen Obersten Religionsführer mehr.
"Wer wird eigentlich der nächste Revolutionsführer? Oder gibt es dann keinen Revolutionsführer mehr? Das kann es auch als Alternative geben."
Für die Protestbewegung hingegen sieht Amiri keine neuen Impulse.
Zwar hätten die Menschen auf der Straße mit Hupen oder Freuden-Videos auf die Meldung reagiert. Aber die Menschen seien im Moment noch viel zu apathisch, viel zu frustriert, depressiv, müde von den letzten Protesten, sodass sie sich jetzt noch nicht wieder in Position gebracht hätten.
Zumal fehle noch immer eine Anführerin oder ein Anführer bei diesen Protesten und ein klares Ziel, für das die Menschen bereit seien, auf die Straßen zu gehen und ihr Leben zu riskieren.
Hinweis: Unser Titelbild zeigt Frauen bei einer Demo in Frankfurt am Main im Jahr 2022.
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