Rund 85.000 Menschen mit geistiger Behinderung dürfen in Deutschland erstmals ihre Stimme bei der Bundestagswahl abgeben. Lisa hat auch das erste Mal gewählt und sich gefreut, denn bislang fühlte sie sich diskriminiert.
Dank eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts von 2019 dürfen Menschen, die aufgrund ihrer geistigen Behinderung voll betreut werden, nicht mehr von der Wahl zum Bundestag ausgeschlossen werden. Lisa ist eine von den rund 85.000 Menschen in Vollbetreuung, die erstmals bei der Bundestagswahl ihre Stimme abgeben dürfen.
"Ich fühlte mich diskriminiert, weil – in Anführungsstrichen – normale Menschen wählen dürfen, und wir waren ausgeschlossen, obwohl wir für uns nicht behindert sind."
Lisa hat es als diskriminierend empfunden, ihre Stimme nicht bei der Bundestagswahl abgeben zu dürfen, weil die Gesellschaft sie von der Wahl ausgeschlossen hat. Festgelegt war das in Paragraf 13 des Bundeswahlgesetzes: "Ausgeschlossen vom Wahlrecht ist derjenige, für den zur Besorgung aller seiner Angelegenheiten ein Betreuer nicht nur durch einstweilige Anordnung bestellt ist". Behindertenverbände wie die Lebenshilfe haben Jahre lang dagegen gekämpft. Außerdem hat die Regelung gegen die UN-Behindertenrechtskonvention verstoßen.
Wahlrecht für Menschen in Vollbetreuung
Deshalb hat es sich für Lisa auch so gut angefühlt, endlich wählen zu dürfen. Sie hat sich gefreut, sagt Lisa im Gespräch mit Deutschlandfunk Nova-Moderator Dominik Schottner. Lisa hat per Briefwahl ihre Stimme abgegeben, weil die Menschen in einem Wahllokal für sie persönlich einfach zu viele sind.
"Ich gehe wählen, ich gehe am Sonntag hin und gebe meine Stimme ab."
Lisa ist 24 Jahre alt und wohnt im "Benedetto-Menni-Nest", dort wird sie wie Patrick voll betreut. Das "Nest" ist eine Wohngemeinschaft für junge Menschen mit Behinderung im Chiemgau.
"Ich wohne in dem Nest, weil Mama in der Schwangerschaft bisschen viel getrunken hat und ich dadurch Schädigungen habe und meinen Alltag nicht so gut strukturieren kann."
Warum sie die Vollbetreuung braucht, kann Lisa sehr genau erklären: Sie hat bereits im Mutterleib Schädigungen durch den Alkoholkonsum ihrer Mutter erlitten. Diese Schädigungen führen zu erheblichen Problemen für sie im Alltag, auch weil sie unter verschiedenen Folgeerkrankungen leidet.
Mehr Anerkennung von Menschen mit Behinderung
Lisa wünscht sich von der Politik, dass Menschen mit Behinderung mehr in den Vordergrund gelangen, sie akzeptiert werden und Ortschaften barrierefrei werden. Als Frau wünscht sie sich aber auch mehr Gleichberechtigung gegenüber den Männern.
"Das Thema Umwelt liegt mir auch sehr am Herzen."
Wie viele andere junge Erwachsene ist auch Lisa das Thema Umwelt- und Klimaschutz wichtig. Sie denkt, dass bereits im Unterricht an den Schulen mehr über die Tierhaltung, Mülltrennung oder Plastikvermeidung gesprochen und aufgeklärt werden müsste.
Immer über Politik informiert
Über die aktuellen politischen Ereignisse informiert sich Lisa bei den klassischen Nachrichtensendungen bei den öffentlich-rechtlichen Sendern oder auf Internetplattformen. Wem sie letztendlich ihre Stimme geben sollte, war für Lisa lange nicht klar. Deshalb hat sie auch geschaut, was bei ihr beim Wahl-O-Mat der Bundeszentrale für politische Bildung herauskommt.
Für Menschen mit Behinderung, die wie sie selbst Probleme beim Erfassen von Texten haben, ist der Wahl-O-Mat aber schwer zu bedienen. "Und für Patrick, der nicht lesen kann, ist der Wahl-O-Mat gar nichts", sagt die 24-Jährige.
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