Viele Inderinnen lassen sich sterilisieren, weil sie schon Kinder haben und die Familienplanung abschließen wollen. Der indische Staat unterstützt und fördert das - weil er das Bevölkerungswachstum in Grenzen halten will.
Pro tausend Einwohner gibt es in Indien einen Familienplaner, erklärt unsere Korrespondentin Silke Diettrich. Und die überzeugen dann selbst Inder in abgelegenen Dörfern davon, dass zwei Kinder absolut ausreichen. Dazu kommt: Für jede Operation gibt es Geld. Wer sich sterilisieren lässt, bekommt umgerechnet 30 Euro. Viel Geld für eine arme Familie, sagt Silke Diettrich. Von der Summe kann sie einen Monat lang ihre Kinder versorgen.
"Der Arzt, den ich begleitet habe, reist jeden Tag bis zu 500 Kilometer durchs Land und macht dann da um die 50 Operationen am Tag."
Und wenn die Behörden den Eindruck haben, dass gerade zu selten sterilisiert wird, gibt es für jede Operation ein Los für eine Tombola dazu. Der Gewinnerin winken dann ein Auto oder ein Kühlschrank, wobei dabei oft außer acht gelassen werde, dass viele Dörfer keinen Strom haben. Die Folge: In den Kühlschrank werden eher Klamotten als verderbliche Lebensmittel geräumt, erzählt Silke Diettrich. Und den Sprit fürs Auto könnten sich viele Gewinnerinnen auch nicht leisten.
Im Fokus der indischen Behörden sind dabei Frauen und Männer. Allerdings entscheiden sich vor allem Frauen für eine Operation, sagt unsere Korrespondentin. Bei 75 Prozent aller verheirateten Paare, die auf Verhütung achten, haben sich die Frauen sterilisieren lassen. Und das, obwohl die Operation bei Frauen viel komplizierter als bei Männern ist. Viele Inder fürchten, dass sie nach dem Eingriff impotent werden könnten. Außerdem verdient meist der Mann das Geld. Und daher gibt es eine weitverbreitete Angst, dass der Ernährer der Familie ausfallen könnte, wenn es Komplikationen bei der Operation gibt.
In ganz Indien gibt es viele Anlaufstellen für Sterilisationen – in Krankenhäusern aber auch in provisorischen Camps. Und natürlich stellte sich die Frage, wie professionell diese medizinischen Einrichtungen sind. Silke Diettrich hat einen Arzt begleitet, der jeden Tag bis zu 500 Kilometer durchs Land reist und bis zu 50 Mal am Tag operiert. Dabei sah für Silke Diettrich alles sauber aus. Vor wenigen Jahren sind bei einer Massenoperation aber auch viele Frauen gestorben. Und es machten Bilder die Runde, auf denen Helfer die Bäuche der operierten Frauen mit Fahrradluftpumpen aufgeblasen haben.
Der Staat mischt bei der Familienplanung mit
Seit den 50er Jahren mischt der indische Staat in der Familienplanung seiner Bürger mit. Damals kamen in einer Familie im Durchschnitt sieben Kinder zur Welt. Ein besonders dunkles Kapitel wurde in den 70er Jahren geschrieben. Damals wurden Männer von der Polizei aus ihren Häusern geholt und auf den OP-Tisch gekarrt. Auch deshalb gibt es in Indien im Gegensatz zum Nachbarland China heute keine gesetzlichen Regelungen mehr, wie viele Kinder in einer Familie zur Welt kommen dürfen.
Bei ihren Recherchen war es für Silke schwer herauszufinden, ob sich Frauen wirklich alle freiwillig zur Sterilisation entscheiden. Oft kam es ihr so vor, alle käuten sie den Jargon der Sozialarbeiter wieder. Bei den meisten Gesprächspartnerinnen hatte sie aber schon den Eindruck, dass sie davon überzeugt sind, dass weniger Kinder besser für sie sind.
Bleibt die Frage nach anderen Verhütungsmethoden: Kondome sind in Indien sehr unbeliebt. Und bei der Pille gibt es das Problem, dass viele arme Frauen regelmäßig an Durchfallerkrankungen leiden und die Pille daher nicht sicher ist. Und eine Spirale muss alle fünf Jahre unter sterilen Bedingungen ausgetauscht werden. Alles Gründe, warum sich viele Inderinnen zur einmaligen Sterilisation entscheiden. Auch weil der Staat, bis zu 500 Euro an Entschädigung zahlt, sollte eine Frau trotzdem schwanger werden.