Vor zwei Jahren, im März 2020, gab es in Deutschland den ersten Lockdown. Arbeiten im Homeoffice ist seitdem für viele Menschen alltäglich geworden. Unser Verständnis von Arbeit, Privatsphäre und digitaler Kontrolle hat sich dadurch grundlegend verändert. Ein Vortrag des Soziologen Carsten Ochs.
So kannten wir es vor der Pandemie: arbeiten, das tun wir im Büro, im Café, auf der Baustelle – jedenfalls nicht in unserem Wohnzimmer oder gar im Schlafzimmer. Die räumliche Trennung von Arbeit und Privatleben war für die meisten selbstverständlich. Mit dem Lockdown vor zwei Jahren hat sich das schlagartig verändert.
"Die Verlagerung der Arbeit ins Homeoffice stellt einen zeitweisen, aber sehr ernsthaften Bruch mit Strukturen der modernen Gesellschaft dar."
Homeoffice funktioniert nicht in allen Berufen – Häuser kann man nur auf der Baustelle bauen, Patienten müssen am Krankenbett versorgt werden. Aber viele Arbeit lässt sich auch am Computer von zu Hause aus erledigen.
Homeoffice bedeutet auch mehr Freiheit
Doch nun findet diese Arbeit in einem völlig anderen Umfeld statt. Wir hocken alleine vor dem Bildschirm, sehen keine Kolleg*innen mehr auf dem Gang vor dem Büro oder in der Caféteria. In den Arbeitspausen kann ich die Waschmaschine beladen, mit dem Hund spazieren gehen oder Mittagessen kochen. Das ist einerseits eine neue Art von Freiheit.
"Die historische Trennung von privater, familialer Sphäre einerseits und Arbeitswelt andererseits hat eine Regulierung der Arbeit ermöglicht."
Diese Freiheit geht aber einher mit einer neuen Art von Kontrolle, sagt Carsten Ochs. Er ist Soziologe an der Universität Kassel und forscht zum Thema Privatheit. Digitales Arbeiten lässt sich weitgehend überwachen, sagt Ochs.
Im Homeoffice fehlt die Regulierung
Gleichzeitig sind Arbeitnehmer*innen und Selbstständige im Homeoffice auf sich gestellt. Sie müssen die Erwartungen ihrer Arbeitgeber*innen oder Auftragsgeber*innen erfüllen, ihnen fehlt aber der Arbeitsschutz und die Regulierung von Arbeit, die im Büro früher galten.
"'Macht, was ihr wollt! Aber wenn ihr die Erwartungen nicht erfüllt, seid ihr raus.' - Das ist die Logik der Kontrollgesellschaft. Sie mündet in ein permanentes Hamsterrad, in dem man immer weiter läuft, weil man befürchtet, sonst aus dem Spiel genommen zu werden."
Das Ergebnis ist, dass sich viele Menschen in einem permanenten Arbeiten gefangen fühlen. Denn im Hintergrund schwebt die Angst, einfach rauszufliegen, wenn man den Ansprüchen nicht genügt. Deswegen, argumentiert Ochs, benötigen wir dringend neue Maßnahmen, die das digitale Arbeiten verbindlich regulieren, auch über die Pandemie hinaus.
"Die Invasion in die Privatsphäre durch das digitale Homeoffice hat verdeutlicht, dass wir politische, kollektiv verbindliche, regulatorische Maßnahmen zur Machtbeschränkung benötigen."
Der Vortrag von Carsten Ochs hat den Titel "Invasion in die Privatsphäre? Soziologische Anmerkungen zum digitalen Homeoffice in der Corona-Pandemie". Er hat diesen Vortrag eigens für den Hörsaal geschrieben und eingesprochen anlässlich des zweiten Jahrestages des Corona-Lockdowns in Deutschland.