Kai Kupferschmidt ist seit über zehn Jahren HIV-positiv und lebt trotzdem ein ganz normales Leben. Das ist möglich, weil er täglich Medikamente nimmt. Die sollten weltweit allen Infizierten zur Verfügung stehen, sagt er. Das tun sie aber bei weitem nicht.
Kai Kupferschmidt ist Wissenschaftsjournalist und schreibt unter anderem über Infektionskrankheiten im US-amerikanischen Science-Magazin. Außerdem ist er einer der Hosts beim Podcast Pandemia.
HIV – Platzangst im eigenen Körper
Als Kai am Tag seiner HIV-Diagnose abends im Bett lag, kam der Schock. Er erinnert sich an dieses Gefühl – eine Art Platzangst – an diese Vorstellung, dass da jetzt etwas in seinem Körper lebt, was er nie wieder loswerden würde.
"Es war wie eine Panikattacke. Eine Art Platzangst in meinem eigenen Körper, dass da plötzlich jemand anders bei dir mit drin wohnt."
Als studierter Molekularbiologe und Experte wusste er aber auf einer rationalen Ebene, dass es Medikamente gibt, die ihm helfen werden, das Virus einzudämmen. Das erste Medikament habe jedoch nicht so angeschlagen wie erhofft, erzählt Kai. Nach der Umstellung auf ein anderes Medikament, sei die Virenlast dann jedoch soweit gesunken, dass das HI-Virus bei ihm – seit inzwischen zehn Jahren – bei normalen Testungen nicht mehr nachgewiesen werden kann.
Medikamte – Keine Ansteckung beim Sex
Kai nimmt täglich zum Frühstück eine Tablette ein. Größere Nebenwirkungen verspüre er keine. Allerdings habe er häufiger Magen-Darm-Probleme als früher. Das könne aber auch an der HIV-Infektion liegen, die den Körper empfindlicher mache.
Kai findet die Geschwindigkeit bei der Erforschung dieser Medikamente beeindruckend. Innerhalb weniger Jahrzehnte hätte das einen totalen Wandel ermöglicht: von einer Zeit, wo eine Diagnose noch einem Todesurteil gleichkam, hin zu einer Lebenserwartung und Lebensqualität wie bei Gesunden.
"Ich kann Sex ohne Kondom haben mit meinem Partner und es ist kein Risiko, dass ich ihn anstecke."
Seinen Partnern von der HIV-Diagnose zu erzählen, sei am Anfang sehr schwer gewesen und von Ängsten geprägt. Das habe sich durch bessere Schutzmöglichkeiten mit der Zeit stark geändert. Heute bieten Medikamente allerhöchsten Schutz, sagt Kai. Er könne Sex ohne Kondom haben, ohne Risiko, den anderen anzustecken. Zudem gibt es die Prä-Exposition-Prophylaxe – eine Pille, die das Infektionsrisiko für HIV-negative Partner auf nahezu Null senke.
2023 gab es in Deutschland 2.200 Neu-Diagnosen bei HIV-Infektionen und damit 300 mehr als im Jahr zuvor. Grundsätzlich sei die Situation in Deutschland aber gut, sagt Christoph Spinner, Co-Vorsitzender der Welt-Aids-Konferenz in München. Hierzulande hätten 99 Prozent der HIV-positiven Menschen Zugang zur Therapie, von denen die meisten erfolgreich behandelt werden.
"99 Prozent der Menschen in Deutschland, die wissentlich mit HIV leben, haben Zugang zur Therapie, davon wiederum sind über 96 Prozent erfolgreich behandelt."
Die größte Herausforderung hierzulande liege in der Diagnose: 8 Prozent der HIV-Infizierten wüssten nichts von ihrer Infektion. Damit steigt das Risiko schwer zu erkranken, an Aids zu sterben und vor allem besteht auch die Gefahr, weitere Menschen anzustecken.
Weltweit ist die Situation noch viel problematischer als in Deutschland: Rund 40 Millionen Menschen sind nach UN-Angaben mit HIV infiziert. Die Zahl der Jährlichen Neuinfektionen wird auf 1,3 Millionen geschätzt. "Praktisch jede Minute stirbt ein Mensch", sagt Christoph Spinner.
Aids – schwierige Lage in Osteuropa und Zentralasien
2023 starben weltweit 630.000 Menschen an Aids-bedingten Krankheiten. Das sind zwar halb so viele Todesfälle wie noch 2010, doch bedeutet das keine Entwarnung. Besonders in Osteuropa und Zentralasien, etwa in Russland, der Ukraine, in Usbekistan und Kasachstan stiegen die Neuinfektionen stark an.
Die internationale Aids Society sorgt sich trotz wissenschaftlicher Fortschritte über die politische Situation und die diskriminierenden Praktiken in manchen Ländern.
"Ich bin optimistisch, dass wir Aids wissenschaftlich besiegen können. Ich bin pessimistisch, was politische Führer und einige Länder betrifft, die zu diskriminierenden Praktiken zurückkehren."
HIV kann heute gut behandelt werden. "Wir könnten diese Epidemie mit den Instrumenten, die wir haben, im Grunde genommen morgen beenden", sagt Kai Kupferschmidt. Wenn alle HIV-positiven Menschen diagnostiziert und medikamentös behandelt würden, würde die Viruslast unter die Nachweisgrenze sinken.
HIV – eine globale Herausforderung
Weltweit gibt es unterschiedliche Probleme im Umgang mit HIV, sagt Kai. Eine viel diskutierte Methode seien aktuell "long-acting injectables". Statt täglich eine Pille zu nehmen, gebe es hier eine Injektion alle zwei oder sechs Monate. Diese Methode soll sowohl zur Behandlung als auch zum Schutz vor Infektionen dienen, indem sie das Ansteckungsrisiko nahezu auf null senke.
Vor allem in Regionen, wo die tägliche Medikamenteneinnahme schwierig ist, könnte dies hilfreich sein, meint Kai. In Südafrika beispielsweise müssten junge Frauen ihre Pillen oft heimlich nehmen, weil sie Stigmatisierung fürchten. Es sei daher wichtig, auch die spezifischen Bedürfnisse verschiedener Gruppen zu verstehen und zu adressieren, um HIV-Infektionen besser zu verhindern.
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