Menschen, die schnell mal aggressiv reagieren, könnte man unterstellen, dass sie sich nicht unter Kontrolle haben. Eine aktuelle Studie zeigt allerdings, dass genau das Gegenteil der Fall ist.

Besonders im Autoverkehr erleben wir Menschen, die ihren Aggressionen freien Lauf lassen. Quietschende Reifen, Hupen, Brüllen oder der Mittelfinger, der aus dem Autofenster gehalten wird. Zurzeit scheinen die Emotionen besonders oft in Berliner Freibädern hoch zu kochen, wo es zu Massenschlägereien kommt. Und wer Pech hat, hat auch auf der Arbeit keine Ruhe vor aggressiven Menschen: Eine Chefin, die schnell in die Luft geht oder ein Arbeitskollege, der regelmäßig rot sieht.

Man nimmt diese Menschen möglicherweise als impulsiv wahr, denkt vielleicht vorschnell, dass sie Schwierigkeiten haben, ihre Gefühle zu kontrollieren.

Eine Metastudie – also eine Untersuchung, die die Daten aus vielen unterschiedlichen Studien und Erhebungen analysiert und vergleicht – ist kürzlich allerdings zu dem Ergebnis gekommen, dass aggressive Menschen über ein hohes Maß von Selbstkontrolle verfügen, erklärt der Neurowissenschaftler Henning Beck.

"In dieser Studie hat man sich das angeschaut und festgestellt, die Personen, die besonders aggressiv sind, eigentlich besonders gut in der Lage sind, Handlungen zu kontrollieren und auch zielgerichtet zu handeln."
Henning Beck, Neurowissenschaftler

Die Forschenden haben in dieser Metastudie unter anderem untersucht, welche Interventionen dazu führen, dass Menschen weniger aggressiv reagieren. Dabei haben sie festgestellt, dass Trainings für Selbstkontrolle nicht dazu führen, dass Probanden ihr aggressives Verhalten besser unter Kontrolle haben.

Bestimmte Kontrollnetzwerke im Gehirn aggressiver Menschen aktiver

Um herauszufinden, was genau in den Köpfen von aggressiven Menschen vorgeht, haben die Forschenden die Gehirnaktivitäten von friedfertigeren und aggressiveren Probanden verglichen. Mit aggressiven Menschen sind in dieser Untersuchung nicht diejenigen gemeint, die aus einer Situation heraus impulsiv überreagieren, sondern diejenigen, die generell eine starke Tendenz für aggressives Verhalten an den Tag legen.

Um die Prozesse und Abläufe im Gehirn verstehen zu können, muss man auch wissen, dass es Gehirnareale gibt, die für unterschiedliche Dinge zuständig sind, erklärt der Neurowissenschaftler Henning Beck. Manche Regionen entwickeln Handlungen, während andere diese kontrollieren. Kontrollnetzwerke nennt man solche Hirnregionen.

Die Studienautoren stellten während ihrer Untersuchung fest, dass bei aggressiveren Menschen das Kontrollnetzwerk für die Impulskontrolle viel aktiver war als bei weniger aggressiven Personen.

"Pathologische Aggressoren nennt man, diejenigen, die cholerisch sind und ausflippen. Sie sind besonders gut darin, diese Aggression auf genau eine Sache zu fokussieren und nicht auf andere."
Henning Beck, Neurowissenschaftler

Tipps, um selbst weniger aggressiv zu reagieren

Oft helfe eine zeitliche Verzögerung der Reaktion, wenn wir in einer Situation, die uns wütend macht, nicht aggressiv reagieren wollen, sagt Henning Beck.

Der Neurowissenschaftler empfiehlt, kurz durchzuatmen oder die Augen zu schließen. Das helfe die Kontrollnetzwerke im Hirn zu aktivieren, damit wir bestenfalls nicht sofort bei unwichtigen Kleinigkeiten ausflippen, wenn uns jemand beispielsweise versehentlich das Wechselgeld falsch herausgegeben hat.

Shownotes
Hirnforschung
Aggressive Menschen haben wider Erwarten eine hohe Selbstkontrolle
vom 22. Juli 2023
Moderation: 
Rahel Klein
Gesprächspartner: 
Henning Beck, Neurowissenschaftler