Gegen sexistische Sprüche in der Öffentlichkeit können sich Frauen bisher in Deutschland – zumindest juristisch – nicht wehren. Niedersachsen möchte das ändern. In Frankreich gibt es schon ein Gesetz, das Catcalling verbietet. Wir klären, was das bringt.
Sie fühlt sich weder sexy noch cool, sondern im schlimmsten Fall hilf- und wehrlos. So beschreibt es eine junge Frau, wenn sie von einer Catcalling-Erfahrung berichtet.
Catcalling, also die Belästigung durch Worte und Gesten, kennen fast alle Frauen. Das geht aus einer Befragung des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen aus dem Jahr 2021 hervor: Knapp 4000 Menschen wurden befragt, fast 90 Prozent davon Frauen – und fast alle haben erlebt, dass sie in den drei Monaten vor der Befragung angestarrt oder wegen ihres Aussehens bewertet wurden.
Rechtslücke bei verbalen Belästigungen
Wer eine andere Person in Deutschland wegen einer solchen Belästigung anzeigt oder die Sache vor Gericht bringt, hat rechtlich gesehen jedoch schlechte Chancen. Catcalling könnte rechtlich als Beleidigung ausgelegt werden. Doch laut aktueller deutscher Rechtsprechung ist das bei Sprüchen wie "Geile Beine, ich will dich ficken" nicht der Fall. Fachanwält*innen für Strafrecht in Deutschland, darunter auch Anthea Pitschel, sehen hier eine Strafbarkeitslücke.
Als erstes deutsches Bundesland will die niedersächsische Regierung das nun angehen und dafür das Strafgesetzbuch ändern. Dafür soll der Paragraf zur sexuellen Belästigung erweitert werden, sodass es eben nicht (wie bisher) nur dann strafbar ist, wenn man angefasst wird, sondern dass auch Worte dazu zählen.
"Laut Gesetzesvorschlag könnte es für sexuelle Belästigung, egal ob verbal oder nonverbal, bis zu einem Jahr Gefängnis oder eine Geldstrafe geben."
Grundsätzlich ist ein Gesetz gegen Catcalling ein gutes Zeichen, das auch eine gewisse Sensibilität in der Gesellschaft schaffen könnte, so die Fachanwältin. In der Realität werde es aber schwer umsetzbar sein, befürchtet sie.
Frankreich: kaum Anzeigen wegen Catcalling
Das sieht man auch an Frankreich, wo das Gesetz bereits existiert. Carolin Dylla, ARD-Hörfunk-Korrespondentin in Paris, erklärt: "Vereinfacht gesagt verbietet dieses Gesetz, Menschen mit Aussagen oder Verhaltensweisen zu belästigen, die sexuell oder sexistisch aufgeladen sind." Kommt es zu einer Verurteilung, kann eine Geldstrafe verhängt werden zwischen 1500 und 3750 Euro.
Inwiefern vor allem die Verletzung der Würde nachgewiesen werden kann, ist dabei die große Frage, so die Journalistin. Ein anderes Problem ist, dass Catcalling erst im Nachhinein angezeigt werden kann, also dann, wenn die beleidigende Person schon verschwunden ist.
"Verletzung der Würde" muss nachgewiesen werden
Die Chancen, dass die Person im Nachhinein von der Polizei gefunden wird, sind gering. Umso wichtiger sei es aber, dass Frauen Anzeige stellen, appellieren die französischen Behörden. Handelt es sich nämlich um jemanden, der mehrfach Frauen an einem bestimmten Ort belästigt, seien die Chancen höher, dass die Person identifiziert wird.
Das Problem ist nur, sagt Carolin Dylla, dass die allerwenigsten eine Anzeige wegen Catcalling erstatten. Laut einer Erhebung, die das französische Innenministerium in Auftrag gegeben hat, wurde gerade mal zwei Prozent der Fälle angezeigt.
"Wir müssen grundsätzlich lernen, dass ein vermeintliches Kompliment eben keines ist, sondern als übergriffig wahrgenommen werden kann."
Ob das Gesetz in Frankreich als Erfolg zu sehen ist, hängt davon ab, welchen Maßstab man anlegt, sagt Carolin Dylla. "Wenn es darum geht, Aufmerksamkeit dafür zu schaffen, dass ein bestimmtes Verhalten inakzeptabel ist und auch geahndet wird, würde ich schon sagen, dass das Gesetz wirkungsvoll ist", so die Korrespondentin. Seit seinem Inkrafttreten würden auch kontinuierlich mehr Fälle angezeigt. Doch leider wüssten eben immer noch nicht alle, dass das Gesetz überhaupt existiert.
Viele kennen das Gesetz gar nicht
Hier sei also Luft nach oben. Darüber hinaus müssten die tatsächliche Umsetzung des Gesetzes und die Strafverfolgung besser werden. Trotzdem: Ein Gesetz werde das gesellschaftliches Problem, das Catcalling ist, nicht lösen, vermutet Carolin Dylla. Es gehe um das grundsätzlichen Verständnis, wie manche Männer vor allem mit Frauen umgehen. Und da habe die Gesellschaft noch viel zu lernen.
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