Wenn es in einem Land zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen kommt, drosselt Facebook das Netz und moderiert die Posts häufiger als sonst. Damit soll ein weiteres Anfachen der Gewalt durch digitale Hetze verhindert werden. Nun überlegt Facebook offenbar, diesen Notfall-Mechanismus auch nach der US-Wahl zu starten.
Facebook wappnet sich für die Zeit nach der US-Präsidentschaftswahl. Offenbar ist geplant, gegebenenfalls die gleichen Mechanismen einzusetzen, die das soziale Netzwerk bereits bei Unruhen in Myanmar oder Sri Lanka erprobt hat. Das berichtet unter anderem das Wall Street Journal. Die Notmaßnahmen sollen jedoch wohl nur umgesetzt werden, wenn es zu gewalttätigen Ausschreitungen kommen sollte.
In Kürze möglich: Risikoland USA
Myanmar und Sri Lanka werden von Facebook als Risikoländer eingestuft, berichtet Deutschlandfunk-Nova-Netzreporterin Martina Schulte. Scheinbar seien jetzt auch die USA kurz davor, als ein solches Risikoland klassifiziert zu werden.
"Facebook könnte die USA als Risikoland einstufen - so wie Myanmar und Sri Lanka."
In den beiden Ländern hatten Gerüchte und Hassbotschaften, die über das Netzwerk verbreitet wurden, zu Gewalt gegen Minderheiten geführt. Facebook war als Brandbeschleuniger in die Kritik geraten.
Eine UN-Untersuchungsmission zu Myanmar hatte dem Konzern indirekt eine Mitschuld an der Vertreibung der Rohingya gegeben. Der Schritt, die Facebook- und Instagram-Accounts des Armeechefs Min Aung Hlaing und anderer Personen sowie Organisationen aus Myanmar zu sperren, kam für viele Beobachter zu spät. Facebook hatte das eingeräumt und Vorfälle bedauert. Die Plattform sei benutzt worden.
Auch bei den anti-muslimischen Unruhen in Sri Lanka 2018 war die Kritik an Facebook groß, zu wenig oder gar nicht eingegriffen zu haben. Auch hier folgte später eine Entschuldigung des Konzerns.
Verbreitung von Hetze beschränken
Um die Verbreitung von Hassbotschaften zu erschweren, hat sich Facebook deshalb besondere Tools einfallen lassen. Die Verbreitung viraler Inhalte soll verlangsamt werden, um potenzielle Hetz-Posts in ihrer Reichweite zu beschränken.
Sollte Facebook den Notfallmodus aktivieren, müssten sich die rund 256 Millionen US-amerikanische Facebook-Userinnen und -User umstellen: Die Auswirkungen auf die Informationen, die sie in ihren Newsfeeds sehen können, wären nämlich gravierend, erklärt Martina Schulte.
- Die Nutzerinnen und Nutzer bekämen einen komplett anderen entschärften Newsfeed angezeigt
- Facebook-Posts könnten weniger leicht über Likes, Kommentare und Co. von Newsfeed zu Newsfeed geteilt werden
- Die Schwelle, ab der der Algorithmus Inhalte als gefährlich einstuft, könnte gesenkt werden
- Der Algorithmus könnte so angepasst werden, dass User bestimmte Inhalte gar nicht oder erst später sehen
Entschärfter Newsfeed
"Wir haben Werkzeuge entwickelt, die es möglich machen, wenn auch nur vorübergehend, effektiv eine Decke über viele Inhalte zu werfen, die frei auf unseren Plattformen zirkulieren würden" so Facebooks Kommunikationschef Nick Clegg gegenüber USA Today. Ob und welche Mittel Facebook genau anwenden wird, ist aber geheim. Diese Maßnahmen bekannt zu geben, sorge am Ende möglicherweise für mehr Unruhe als nötig, so Cleggs Begründung.
"Dass in irgendwelchen Facebook-Subunternehmen irgendwelche unterbezahlten Content-Moderatoren entscheiden, was im Newsfeed landet und was nicht, ist natürlich höchst problematisch."
Die Situation ist kompliziert. Denn natürlich kann man die Werkzeuge von Facebook als Zensur einstufen.
Die Gefahr der Zensur
Dass Subunternehmer des Konzerns Content-Moderatoren beschäftigen, die dann entscheiden, was im Newsfeed landet und was nicht – möglicherweise mithilfe künstlicher Intelligenzen, von denen nur Facebook selbst weiß, nach welchen Kriterien sie trainiert wurden – ist alles andere als transparent.
Doch die Alternative dazu klingt auch nicht gut: Etwa, dass rechtsradikale Gruppen ungefiltert zum Umsturz und zu Gewalt aufrufen können und schreiben dürfen, was sie wollen.
Sollten sich Trump oder Biden via Facebook zum Wahlsieger erklären, will Facebook den Post übrigens mit einem entsprechenden Hinweis versehen.