Darf der Staat einem Hartz-IV-Empfänger die Bezüge kürzen, weil der sagt: Ich möchte keine Stelle als Lagerarbeiter, ich möchte lieber in den Verkauf? Oder, weil er regelmäßig Termine im Jobcenter versäumt? Über genau diese Sanktionen gegen Hartz-IV-Bezieher geht es ab heute (15.01.2019) vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.
Mit 424 Euro im Monat kommt man nur schwer über die Runden. Wenn dann davon noch etwas weggenommen wird, ist das noch mal eine Nummer härter. Genau das kann aber passieren, wenn ein Hartz-IV-Empfänger einen angebotenen Job oder eine Fortbildung der Arbeitsagentur ablehnt.
Ab dem 15. Januar werden solche Hartz-IV-Sanktionen vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelt. Ein Arbeitsloser aus Thüringen hatte in Gotha geklagt, berichtet Deutschlandfunk-Nova-Reporterin Anja Nehls. Ein Jobcenter hatte ihm Stelle als Lagerarbeiter angeboten. Er wollte diesen Job aber nicht, sondern wollte lieber im Verkauf arbeiten.
"Die Bezüge des Arbeitslosen wurden erst um 117,30 Euro und dann um 234,60 Euro gekürzt."
Das Jobcenter hatte ihm daraufhin die monatliche Grundsicherung gekürzt, erst um 30 Prozent (117,30 Euro weniger), dann um 60 Prozent (234,60 Euro weniger).
Ein menschenwürdiges Existenzminimum
Das Sozialgericht Gotha bewertete die Sanktionen als verfassungswidrig und legte den Fall dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vor. Nach Ansicht des Sozialgerichts verstoßen die Leistungskürzungen gegen die Pflicht des Staates, ein menschenwürdiges Existenzminimum zu gewährleisten.
Dass die Jobcenter Leistungen kürzen, kam 2017 fast eine Million mal vor, berichtet Anja Nehls. Gut 30.000 Menschen bekamen irgendwann überhaupt kein Geld vom Staat mehr, noch nicht mal für ihre Wohnung.
"Die Strafen können in einer 100-Prozent-Sanktionierung enden – dann gibt es gar kein Geld mehr."
Hauptgrund für die Sanktionen war die Tatsache, dass Termine beim Jobcenter nicht wahrgenommen wurden. Viele Betroffene sind da wohl Wiederholungstäter. Warum sie nicht erschienen sind, kann tausend Gründe haben, sagt Helena Steinhaus vom Verein Sanktionsfrei. Die Hälfte der Hartz-IV-Bezieher sei nämlich gar nicht arbeitslos.
"Die Hälfte der Hartz-IV-Bezieher sind entweder Aufstocker oder in der Ausbildung, sie betreuen Kinder oder sind krank: Manche sind psychisch nicht mehr dazu in der Lage, die Post aufzumachen."
Anja Nehls hat Michael Husemann getroffen, der seit fast zehn Jahren von Hartz IV lebt. Früher hatte er einen guten Job. Um seine kranke Mutter zu pflegen, hat er den dann aber gekündigt. In der Folge wurde ihm Hartz IV gekürzt.
Eingebunden durch die Pflege der kranken Mutter
Vermutlich sei das so gewesen, weil er Termine versäumt habe, sagt Husemann. Er sei aber wegen der Pflege so extrem eingebunden, dass er "keinen Kopf für irgendetwas anderes" gehabt habe. Insgesamt seien die Sanktionen bis 30 Prozent gegangen. Er habe keine Kraft gehabt, sich diesbezüglich um irgendetwas zu kümmern. An manchen Tagen habe er nichts gehabt – und sich von Zucker ernährt.
"An manchen Tagen habe ich industrieraffinierten Zucker gegessen, damit ich ein paar Kalorien reinbekomme."
Auch Husemann wurden Jobs angeboten, die nichts für ihn waren. Und auch ihm wurden danach weitere Leistungen gekürzt. Nachdem er sich vor Gericht gewehrt hatte, bekam er aber recht – und sein Geld zurück. Fast 40 Prozent aller Klagen vor Sozialgerichten gegen Hartz-IV-Sanktionen waren im vergangenen Jahr erfolgreich.
Das Bundesverfassungsgericht muss jetzt ein Urteil dazu finden, ob Hartz-IV-Sanktionen überhaupt verfassungskonform sind. Wenn sie es nicht sind, dann muss die Politik reagieren und etwas verändern. Mit dem Urteil wird allerdings frühestens in ein paar Monaten gerechnet.
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