• Deutschlandfunk App
  • ARD Audiothek
  • Spotify
  • Apple Podcasts
  • Abonnieren

Vor einem Jahr hat ein Mann in Hanau neun Menschen getötet. Aus Hass. Aus rassistischen Gründen. Seitdem wird in der Politik etwas gegen Rassismus unternommen. Die Politikerin Aminata Touré und der Konfliktforscher Andreas Zick finden, es ist noch nicht genug.

Neun Menschen sind tot. Ermordet am 19. Februar 2020. Ein Jahr danach sind immer noch viele Fragen offen. Ihre Antworten sind wichtig für die Angehörigen und die Gesellschaft. Sind Notrufe nicht angenommen worden? Warum waren Notausgänge an einem der Tatorte verschlossen? Warum hatte der Täter, der polizeilich bekannt war, die Möglichkeit, eine Waffe zu besitzen?

Es ist noch viel Aufklärung nötig. Und die Opfer und Angehörigen müssen besser geschützt werden. Das fordert eine Gruppe von Grünen-Politikerinnen und -Politikern. Sie wollen, dass der Staat sich aktiv für Gleichberechtigung einsetzt und gegen Rassismus kämpfen muss.

Grüne fordern Ministerium für gesellschaftlichen Zusammenhalt

"Wir wollen den Schutzauftrag im Grundgesetz verankern", sagt Aminata Touré. Sie in eine der Verfasserinnen der Forderung und Vizepräsidentin des Landtages Schleswig-Holsteins und Sprecherin für Antirassismus, Frauen und Gleichstellung. Nötig seien außerdem:

  • ein verbessertes Bundesantidiskriminierungsgesetz
  • Förderung und Forschung von gesellschaftlichem Engagement
  • ein Bundesministerium für gesellschaftlichen Zusammenhalt

In dem vorgeschlagenen Ministerium soll es um Antidiskriminierung gehen, um Frauen, Einwanderung, Migration und Flucht, Queer-Politik, Behinderten-Politik, Familien, Senioren und Demokratieförderung. "Diese Themen tauchen sonst ganz verstückelt in unterschiedlichen Ministerien auf", kritisiert Aminata Touré. "Aber es fehlt an einer klaren Zuständigkeit."

Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, Diskriminierung und Rassismus – das seien Kernprobleme, die viel gebündelter und gezielter auf Bundesebene diskutiert werden müssen, so die Politikerin.

"Ich glaube, man hat es zum ersten Mal als das benannt, was es war: ein rassistischer Mord."
Aminata Touré, Grünen-Politikerin

Aminata Touré ist skeptisch, ob allen entscheidenden Spitzenpolitikerinnen und Politikern klar ist, welches Ausmaß Rassismus und Rechtsextremismus in Deutschland haben: "Bleibt es nun bei Sonntagsreden oder begreift man auch wirklich im politischen Handeln, was das bedeutet?"

Maßnahmen gegen Rechtsextremismus

Aber: Die Politik handelt, es gibt Maßnahmen. Ende November vorigen Jahres hat die Bundesregierung einen Maßnahmenkatalog zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus vorgestellt. Das sind 89 Maßnahmen, die in Projekte umgesetzt werden.

Andreas Zick, Konflikt- und Gewaltforscher
"Wir haben viel zu wenig Schutz von Opfern."

Es soll eine Milliarde Euro investiert werden, sagt Andreas Zick, er ist Konflikt- und Gewaltforscher an der Universität Bielefeld. Das sei ein großer Schritt, sagt er. Aber: "Es wird am Ende nicht reichen."

Das große Problem ist: Der Maßnahmenkatalog ist bis 2024 terminiert. "Aber wir beobachten seit dem Zweiten Weltkrieg Rassismus und Kontinuitäten im Rechtsextremismus", sagt der Wissenschaftler. Das bedeutet: Wir brauchen einen langen Atem über viele Jahre hinweg.

Rassismus ist alltäglich

Vor allem müsse die Zivilgesellschaft gestärkt werden, meint der Konfliktforscher. Da gebe es noch viel zu tun: Rassismus sei alltäglich. Dazu gehören nicht nur Gewalttaten, sondern auch Aggressionen, Beleidigungen, dass man Menschen aus dem Weg geht, die Akzeptanz von Vorurteilen. "Das alles ist bisher nicht so ernst genommen worden", sagt Andreas Zick.

Für Andreas Zick gibt es Lösungen:

  1. Prävention: Die Vorurteile, Rassismus und Stereotype müssen sehr früh bekämpft werden.
  2. Schutz von Opfern: Es gibt zu wenig Opferschutz, Alltagsrassismus zeigt, dass Werte und Beratung fehlen
Andreas Zick, Konflikt- und Gewaltforscher
"Wenn ich Hass mit anderen teile, im Internet Zuspruch bekomme, dann führt das zu Handlungen."

Seit 25 Jahren forscht er unter anderem zum Thema Rassismus. "Einstellungen und Vorurteile sind die Grundlage", erklärtZick. Wenn Hass mit anderen Menschen geteilt werde, Hass auf Zustimmung stoße, etwa im Internet, dann führe das schließlich zu Handlungen.

Exakt so sei es im Fall von Hanau passiert. Vor der Tat hatte der Täter Pamphlete mit Verschwörungserzählungen und rassistischen Ansichten im Internet veröffentlicht. Dann ermordete er neun Menschen.

Shownotes
Ein Jahr nach Hanau
Forderungen: Deutschland muss mehr gegen Rassismus unternehmen
vom 19. Februar 2021
Moderatorin: 
Diane Hielscher
Gesprächspartnerin: 
Aminata Touré, Grünenpolitikerin, Vizepräsidentin des Landtages Schleswig-Holsteins und Sprecherin für Antirassismus, Frauen und Gleichstellung
Gesprächspartner: 
Andreas Zick, Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld