Jana L. und Kevin S. starben vor einem Jahr bei dem Anschlag auf die Synagoge in Halle. Christina Feist war extra zu Jom Kippur nach Halle gekommen und hat überlebt. Sie lebt heute noch in Paris. Zurück nach Deutschland? Das kann sie sich nicht vorstellen.
Ein Jahr ist es her, als am 9. Oktober 2019 ein bewaffneter Mann versucht hat, in die Synagoge in Halle einzudringen. Er scheitert an der Sicherheitstür. Statt vieler Menschen in dem Gotteshaus, hat er die 40 Jahre alte Jana L., die gerade auf dem Weg nach Hause war, und den 20-jährigen Kevin S. getötet, der gerade Pause in einem Döner-Imbiss machte.
Es war Jom Kippur, der höchste jüdische Feiertag.
Auch Christina Feist wollte den Feiertag in der Synagoge mit Freundinnen und Freunden gemeinsam feiern. Sie reiste aus Paris an, wo sie sich für ein Forschungssemester an der Sorbonne eingeschrieben hat. "Das beschäftigt mich nach wie vor", sagt die Doktorandin. "Ich glaube, das wird mir auch für den Rest meines Lebens bleiben."
Trotzdem hat Christina Feist auch dieses Jahr Jom Kippur gefeiert - in Halle. "Ich habe jetzt eine neue Erinnerung an Jom Kippur und die ist gut. Die letzte Erinnerung ist damit ein bisschen überschrieben, auch wenn das Trauma und die Erinnerungen natürlich bleiben."
Und noch etwas bleibt: Der Antisemitismus in Deutschland.
"Ich kann nicht nach Deutschland ziehen, ich schaffe es einfach nicht. Eine Woche in Deutschland ist mir schon zu lang."
Das Forschungssemester an der Sorbonne sollte eigentlich nur ein Jahr dauern. Christina Feist ist eigentlich an den Universitäten Potsdam eingeschrieben. Theoretisch sollte sie also wieder in Berlin zurück sein: "Aber ich kann nicht nach Deutschland ziehen, ich schaffe es einfach nicht." Sie kann nur kurz in Deutschland sein, um zum Beispiel am Prozess gegen den mutmaßliche Täter teilzunehmen. Sie fühlt sich nicht wohl: "Eine Woche in Deutschland ist mir schon zu lang."
Jüdische Einrichtungen - ob Supermarkt oder Synagoge - kann sie nur schwer besuchen, sagt sie: "Das ist einfach mir Angst verbunden."
Christina Feist hat das Vertrauen in die Polizei verloren
Das viel größere Problem sei aber die Polizeiarbeit, davon habe sie am Tag des Attentats 2019 ein zweites Trauma erlitten. "Ich habe Angst vor der Polizei, Autoritäten und überhaupt kein Vertrauen mehr."
Die Polizei sei extrem unsensibel gewesen, unfreundlich, ungeduldig, desinteressiert, patzig, habe sich ein bisschen über sie lustig gemacht, sagst Christina Feist: "Es war mehr als deutlich, dass die Polizei keine Ahnung vom Judentum hat."
"Ich glaube, egal, was mir in Deutschland passiert, mir wird nicht geholfen."
Ein Jahr danach hat sich nichts geändert für Jüdinnen und Juden in Deutschland, meint Christina Feist. "Ich habe nicht das Gefühl, dass sich die Stimmung in diesem Land gebessert hat." Zwar gebe es durchaus Solidarität von Menschen, für die sie sehr dankbar sei, doch die ganze Solidarität aus der Gesellschaft und der Politik fehle.
"Antisemitismus und Rassismus sind Angriffe auf die Demokratie und die offene Gesellschaft, auf jede Person, die darin lebt."
Es fehlt Bildung über das Judentum, die alle Menschen in der Bevölkerung erreicht, nicht nur Schülerinnen und Schüler, fordert Christina Feist. Denn jeder sei persönlich betroffen: "Antisemitismus und Rassismus sind Angriffe auf die Demokratie und die offene Gesellschaft, auf jede Person, die darin lebt."
Mangelnde Zivilcourage
Immer noch kommt es zu antisemitischen, rassistischen oder auch sexistischen Übergriffen, ohne dass Menschen, die das mitbekommen und zugucken, etwas unternehmen, meint Christian Feist. Dafür fehle ihr jedes Verständnis: "Was braucht es noch, damit die Menschen aufwachen und sagen 'Hey, so geht das nicht!'?"