Dianes Leben ist ihre Arbeit, dafür gibt sie alles. Doch ihre neue Kollegin scheint noch besser zu sein als sie. Diane fasst einen Entschluss: Sie will jetzt eine Häsin sein, die schneller rennen und noch länger wach bleiben kann. Erzählt wird diese Geschichte in "Häsin in der Grube" von Mireille Gagné.
Wie ein Mensch in einer Leistungsgesellschaft kaputtgehen kann, und welche Fluchtstrategien er oder sie in Erwägung zieht, um dem Druck zu entkommen, das erzählt die kanadische Schriftstellerin Mireille Gagné auf fantastische Art in ihrem Romandebüt "Häsin in der Grube".
Sie verwebt darin Traum und Wirklichkeit zu einer Parabel, deren Ende offen ist. Sie handelt von Flucht, vom Hakenschlagen und vom Verirren. Mireille Gagné ließ sich dafür von einer Legende der indigenen Bevölkerung Nordamerikas, der Algonkin, inspirieren.
Keine Pausen, noch mehr schaffen
Diese Legende erzählt von einem Geist, der denen, die sich verirrt haben, in Gestalt eines Hasen erscheint. Und die Protagonistin Diane hat sich verirrt. Ihr Leben ist ihre Arbeit. Dafür gibt sie alles. Sie kommt eher, sie bleibt länger, sie gönnt sich keine Pausen, um noch mehr zu schaffen. Aber Diane wird ihrem eigenen Anspruch nicht gerecht.
Sie kann nicht mehr und fragt sich, wie die anderen Menschen das schaffen: arbeiten, ohne dabei kaputtzugehen. Zu allem Überfluss kommt in genau diesem Moment eine neue Kollegin ins Team, der jede Arbeit mühelos zu gelingen scheint, die auch noch gesund aussieht und von allen Kolleginnen und Kollegen gemocht wird.
"Damit der Eingriff erfolgreich sei, müsse sie ihrem Organismus Zeit geben, sich anzupassen. Eine Woche Ruhe sei das Minimum. Wie soll sie das schaffen? Was soll sie stattdessen machen?"
Diane hasst sie – so sehr, wie sie sich selbst hasst. Als Diane den Stress nicht mehr aushält, trifft sie eine folgenschwere Entscheidung. Sie wählt die Telefonnummer einer Klinik und vereinbart einen Termin für den Tag X.
Ab dann wird sie nicht länger ein schwacher Mensch sein, sondern eine Häsin. Sie wird schärfer sehen, schneller rennen und länger wach bleiben können. Sie wird zufriedener mit sich selbst sein und die verhasste Kollegin links liegen lassen. So wird es sein. Aber nur, wenn sie alles richtig macht.
Das Buch:
"Häsin in der Grube" (Romandebüt; OT: Le lièvre d’Amérique“) von Mireille Gagné, aus dem kanadischen Französisch ins Deutsche übersetzt von Birgit Leib, erschienen bei Wagenbach, 114 Seiten, 17 Euro, ET: 19.08.2021.