Wirtschaft vs. Umweltschutz und Klimawandel: "Greenwash, Inc." von Karl Wolfgang Flenders erzählt von einem PR-Agenten, der um jeden Preis Karriere machen will – zur Not auf Kosten anderer. Gerade im Hinblick auf aktuelle politische Debatten zum Thema Greenwashing ist das Buch sehr aktuell.
Thomas schreibt im Auftrag seiner PR-Agentur für zahlungskräftige Kundinnen und Kunden sogenannte "Hope Stories" – inszenierte Image-Kampagnen, die von Umweltverbrechen und Menschenrechtsverletzungen ablenken und das Ansehen der betreffenden Firmen aufpolieren oder gar retten sollen.
Hope Stories: Ablenken und Blenden
Je drastischer der Einsatz dieser Stories, desto eher werden den Firmen deren Vergehen verziehen. Der ehemalige Journalist Thomas weiß, was die Menschen in Reportagen, auf Social Media und in Werbeanzeigen lesen wollen: nur Gutes. Was nicht gut ist, wird als Gutes verpackt.
"Thomas weiß, was die Menschen lesen wollen: nur Gutes. Was nicht gut ist, wird als Gutes verpackt."
Brunnen werden gebaut, Schulen subventioniert, Schicksale inszeniert – überall auf der Welt: in einem Landkreis in Niedersachsen, in einem Dschungel-Dorf in Brasilien oder in einer Nähfabrik in Indien – für jedes Problem finden Hope-Story-Autoren wie Thomas eine Lösung.
"Die Menschen wollen beschissen werden"
Warum Thomas das macht? Weil er alles andere für verlogen hält. Beim Duschen Wasser sparen, aber SUV fahren. Second Hand Klamotten tragen, aber alle zwei Jahre ein neues Smartphone haben wollen. Ekelhaft. Die Menschen wollen beschissen werden. Also bescheißt er sie. Wenn er es nicht macht, macht es jemand anderes.
Nebeneffekte hat das Ganze allerdings schon. Während Thomas mit seinem Agenturchef Jens Squash spielt (und der spielt nicht mit jedem), unterhalten sie sich über das Team in der Agentur, über die aufgeschlitzten Reifen an Thomas' Rennrad und über Thomas' Freundin, Marina. Jens hat einen Job für sie an der Uni klargemacht. Ohne ihr Wissen. Auf Thomas' Bitte hin. "Du schuldest mir was", sagt Jens ungerührt. Und gewinnt den dritten Satz.
Ein Feuer im brasilianischen Regenwald
Über das, was in Brasilien passiert ist, sprechen sie nicht. Dabei träumt Thomas ständig davon: von den Flammen, die plötzlich aus dem Wald schlagen und das Dorf in wenigen Minuten komplett zerstören. Er sieht die junge Frau vor sich, die ein Baby aus dem Feuer rettet und dabei schwerste Verbrennungen erleidet. Ihre Haut, die Blasen wirft. Das weinende Baby. Die Journalisten, die ihre Kameras draufhalten. Das Smartphone in seinen Händen, mit dem er zitternd die Katastrophe filmt – und sofort bei YouTube hochlädt.
"Thomas hatte jemanden dafür bezahlt, Feuer zu legen."
Es hätte anders laufen sollen. Thomas hatte jemanden dafür bezahlt, Feuer zu legen – aber seinen Kollegen Christoph nicht eingeweiht. Der wiederum hatte ein Baby "organisiert" – und Thomas nichts davon gesagt. Es hätte also auch ganz anders laufen können. Niemand ist tot. Die Journalisten halten die junge Frau immer noch für eine arme Bäuerin, die hier Mais anbaut, mit dem sie ihr Baby ernähren kann. Dank eines reiches europäischen Unternehmens.
Niemand weiß, dass sie eine gebuchte Schauspielerin ist. Damit das so bleibt, wird sie aufwendig in einer Privatklinik behandelt, die darauf verzichtet, sie und ihre Verletzungen zu registrieren. Und das Feuer, das wird einer weiteren skrupellosen Brandrodung zugeschrieben. In Brasilien längst Alltag. Es ist also eine stimmige Geschichte.
Das Buch
"Greenwash, Inc." von Karl Wolfgang Flenders, Dumont Verlag, 392 Seiten, Taschenbuchausgabe: 11 Euro, gebundene Ausgabe (Hardcover): 19,99 Euro, E-Book: 8,99 Euro
Der Autor
Karl Wolfgang Flender, geboren 1986 in Bielefeld, studierte Literarisches Schreiben an der Universität Hildesheim. Er war Mitherausgeber der Literaturzeitschrift "Bella triste" und 2014 Mitglied der künstlerischen Leitung des Literaturfestivals "Prosanova". "Greenwash, Inc.", erschienen am 18.09.2015, war sein Debütroman. 2019 folgte "Helden der Nacht". Flender lebt in Berlin. Dort unterrichtete er an der Universität der Künste und promoviert derzeit an der Freien Universität. Hier könnt ihr euch anschauen und anhören, wie Karl Wolfgang Flender aus "Greenwash, Inc." vorliest.