Als bei Marius' Vater ein unheilbarer Hirntumor diagnostiziert wird, ist ihm schnell klar: Wenn die Symptome zu stark werden, möchte er selbstbestimmt gehen. Doch die unklare Rechtslage verwehrt ihm diesen Wunsch.
Im Frühling 2022 bekommt Marius' Vater die Diagnose. Er ist an einem unheilbaren Hirntumor erkrankt. Schon eine Woche später bespricht er mit seiner Familie die Patientenverfügung. Sein unbedingter Wille: Er möchte nicht als "leere Hülle" im Bett liegen.
"Als die Symptome so schlimm wurden, dass er im Krankenhaus betreut werden musste, äußerte er täglich den Wunsch, dass er sterben möchte."
Ein Jahr nach der Diagnose werden die Symptome so stark, dass der Vater Zuhause nicht mehr betreut werden kann und ins Krankenhaus umziehen muss. Er ist verwirrt, leidet an Sprach- und Orientierungsverlust. Es kommen epileptische Anfälle hinzu, und er kann nicht mehr gehen. Ab diesem Zeitpunkt äußert er täglich den Wunsch, diesem Zustand ein Ende setzen zu dürfen.
Wochenlanges Warten auf das Ende
Anfangs ist dieser Wunsch für Marius ein Schock. Er hat nicht erwartet, dass die Sterbephase so lange dauern könnte. Vier Wochen lang liegt sein Vater im Bett und wartet darauf, dass es zu Ende geht, erzählt er.
In der Familie löst der Sterbewunsch des Vaters unterschiedliche Reaktionen aus: Die Mutter will jeden Tag, den sie zusammen noch erleben können, genießen. Marius hingegen kann den Wunsch seines Vaters verstehen. Die Unheilbarkeit des Tumors und die Unausweichlichkeit des Todes lassen keine Hoffnung auf Heilung zu – und sein Vater beharrt auf seinen Wunsch.
"Anfangs hat uns niemand über die Möglichkeiten der Sterbehilfe informiert."
Obwohl Marius Vater täglich seinen Sterbewunsch äußert, erhalten sie von niemanden Informationen dazu, wie sie ihn erfüllen könnten. Schließlich setzt sich Marius mit der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben in Verbindung.
Dort erhält er ein konkretes Angebot: 4.000 Euro, zwei Gutachten und in der Regel sechs Monate Wartezeit müsse die Familie aufbringen. In ihrem Fall hätte die Wartezeit auf einen Monat verkürzt werden können.
Grauzone Sterbehilfe: Nur Zuhause möglich
Eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Marius' Familie bespricht sich auch mit den Ärzt*innen in der Klinik, in denen der Vater betreut wird. Doch sie machen deutlich: In der Klinik selbst gibt es keine Möglichkeit der legalen Sterbehilfe.
Das könne nur Zuhause passieren und auch dort nur in einer rechtlichen Grauzone – denn die Rechtslage ist auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2020 unklar. Damals wurde beschlossen, dass es die Möglichkeit einer legalen Sterbehilfe geben muss. Bisher konnte sich aber noch kein Gesetzesentwurf durchsetzen.
"Gelitten hat mein Vater dank der guten Arbeit der Palliativmedizin nicht unbedingt. Die Zeit war aber sehr hart, und ich habe oft gedacht: Das müssten wir nicht durchmachen."
Am Ende entscheidet sich der Vater von Marius gegen die Sterbehilfe in der Grauzone und für einen Mittelweg: Er lässt seine Medikamente absetzen. Zwei Wochen später stirbt er. Eine Zeit, die zwar durch die Arbeit der Palliativmediziner*innen erträglich war, die aber kürzer hätte sein können, sagt Marius heute. An vielen Tagen hat er sich gefragt, warum sein Vater und seine Familie das durchmachen müssen.
Für die Zukunft wünscht er sich, dass ein Gesetz verabschiedet wird, dass es Menschen ermöglicht, zwischen verschiedenen Möglichkeiten zu wählen – darunter auch der Möglichkeit, selbstbestimmt zu gehen.