Am 6. Januar 2021 stürmten Hunderte Anhänger von Donald Trump das Kapitol. Fünf Menschen kamen dabei ums Leben, viele wurden verletzt. Kann sich das wiederholen? Was christliche Nationalisten in den USA bei einer Wahlniederlage Trumps planen.
Unter den Menschen, die damals das Kapitol stürmten, befanden sich zahlreiche Anhänger der sogenannten "New Apostolic Reformation" (NAR), einer christlich-nationalistischen Bewegung in den USA.
NAR: Engel Gottes vs. Dämonen des Teufels
Die Anhänger der NAR glauben an eine klare Teilung von Gut und Böse, sagt der Religionswissenschaftler Matthew Taylor, der zu religiösen Gruppierungen in den USA forscht. Auf der einen Seite stünden die Engel Gottes, auf der anderen die Dämonen des Teufels. Taylor warnt vor der Radikalisierung christlicher Kreise.
"Wenn du weißt, dass deine Seite die Einsicht der Engel hat, die göttliche Offenbarung hinter sich weiß und die andere Seite voller Dämonen ist – warum solltest du jemals mit diesen Menschen reden?"
Die NAR-Anhänger beanspruchen "die Einsicht der Engel" für sich und glauben "die göttliche Offenbarung hinter sich", so Taylor. Mit der Gegenseite, den teuflischen Dämonen, wollten sie also gar nicht erst reden. "Diese Menschen müssen besiegt, konvertiert oder im Extremfall sogar ausgelöscht werden, damit die Wahrheit, an die du glaubst, durchgesetzt werden kann", erläutert der Religionswissenschaftler.
Wer gegen Trump ist, gilt als von Dämonen besessen
Diese Überzeugung habe eine gesellschaftliche Dimension: Denn wer gegen Trump ist, gilt bei der NAR als von Dämonen besessen und muss sozusagen bekämpft werden, so Taylor. Die NAR sei eine dynamische Bewegung mit charismatischen Führern, die sich als Apostel oder Propheten sehen und ihre Anhänger zur sogenannten "geistlichen Kriegsführung" aufrufen.
"Geistliche Kriegsführung"
Dabei gehe es offiziell um das "Beten gegen Dämonen". Doch in der Praxis habe diese Denkweise in die reale Welt übergegriffen, stellt Taylor fest. Die spirituelle Komponente gehe oft mit emotionalen Erlebnissen einher – ein Terrain, auf dem rationale Argumente oft nicht mehr durchdringen, betont der Experte.
Eine wachsende Bewegung und ihre politischen Verbindungen
Annika Brockschmidt, die als freie Journalistin über die religiöse Rechte in den USA berichtet, beschreibt die NAR als Teil einer größeren religiösen Bewegung, die sich auch mit rechtsextremen Gruppen wie den Proud Boys vernetzt. In letzter Zeit seien immer häufiger Fälle bekannt geworden, bei denen Milizmitglieder bei charismatischen Erweckungsveranstaltungen auftauchten und sich haben taufen lassen, sagt Brockschmidt.
"In den letzten Monaten beobachten Reporter immer häufiger, dass sich Proud-Boys-Mitglieder bei charismatischen Erweckungsveranstaltungen taufen lassen."
Sie sieht darin eine gefährliche Entwicklung, denn so könnten gewaltbereite Milizen einen "theologischen Überbau" erhalten.
Die USA als christlicher Staat ohne Gewaltenteilung
Brockschmidt erklärt, dass die NAR und ähnliche Gruppierungen an einen göttlichen Herrschaftsanspruch glauben, der die USA als christlichen Staat ohne Gewaltenteilung sehen will. "Diese Gruppen glauben, dass es ihre Aufgabe sei, sämtliche kulturellen und politischen Institutionen der Gesellschaft für Gott zurückzugewinnen", sagt sie.
"Diese Gruppen glauben, dass es ihre Aufgabe sei, sämtliche kulturellen und politischen Institutionen der Gesellschaft für Gott zurückzugewinnen."
Diese Vision ziele darauf ab, die Kontrolle über alle gesellschaftlich relevanten Bereiche zu gewinnen – von den Medien bis zur Erziehung.
US-Wahl 2024: Droht ein erneuter Gewaltausbruch?
Viele Expert*innen befürchten, dass die bevorstehende Wahl – bei einer Niederlage Trumps – erneut Gewalt von christlich-nationalistischen Gruppen auslösen könnte. Auch Matthew Taylor äußert diese Bedenken und zieht eine drastische Bibelgeschichte heran, um die Radikalität der Bewegung zu verdeutlichen: "Einige NAR-Anhänger vergleichen Trump mit dem biblischen Jehu, der die sündhafte Königin Isabel brutal tötet. In ihren Augen ist Kamala Harris die moderne Isabel."
"Einige NAR-Anhänger vergleichen Trump mit dem biblischen Jehu, der die sündhafte Königin Isabel brutal tötet. In ihren Augen ist Kamala Harris die moderne Isabel."
Taylor zeigt sich besorgt über den Einfluss solcher Ideologien: "Ich selbst bin Christ, und das tut mir weh. Wenn das die einzige Form des Christentums wäre, könnte ich kein Christ sein."
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