Gianni Jovanovic wurde mit 14 zwangsverheiratet, mit 16 zum ersten mal Vater, Anfang 20 hat er sein Coming-out. Um der zu sein, der er heute ist, musste er familiäre und gesellschaftliche Widerstände durchbrechen. Humor und die Unterstützung von liebenden Menschen haben ihm dabei geholfen.

Wenn man die Lebensgeschichte von Gianni Jovanovic hört, dann verschlägt es einem erstmal den Atem: Hineingeboren in eine Familie mit einem patriarchalen Vater, der ihn mit 14 zwangsverheiratet - entsprechend der familiären Tradition. Rassismus hat er am eigenen Leib erfahren, als Neo-Nazis das Haus seiner Familie mit einem Molotov-Cocktail "quasi fast in die Luft gejagt" haben, wie er erzählt. Und dann sein Coming-Out, die schmerzhafte Trennung von seiner Familie und seinen Kindern.

"Man könnte eigentlich sagen: Okay, der hat so viele mehrfache traumatische Erlebnisse erlebt, er müsste sich eigentlich umdrehen und der ganzen Welt und der ganzen Gesellschaft den nackten Arsch zeigen. Nein, ich zeige ihnen lieber meine weißen Zähne."
Gianni Jovanovic, Autor und Aktivist

Gianni ist heute da, wo er sein wollte, setzt sich als Aktivist unter anderem mit seiner Initiative "Queer Roma" gegen Homophobie und Rassismus ein. Er leitet Workshops, steht als Performer auf der Bühne und hat nun auch ein Buch geschrieben.

"Ja, ich bin so ein Leipziger Allerlei", sagt er über sich selbst. Und es ist ihm wichtig, dass er von außen, trotz seines Engagements, nicht als jemand wahrgenommen wird, "der irgendwie von Hass geprägt ist oder aus einer Opferrolle herausschießt". Und so nennt er sich beispielsweise auf seinem Youtube-Kanal auch gerne mal selbstironisch "Der Roma-Beauftragte für Bildung und Glückseligeit".

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Von der Minderheit zur Mehrheit

"Ich, ein Kind der kleinen Mehrheit" lautet der Titel seines Buch, das im März 2022 erscheint. Mit dem Begriff Minderheit konnte sich Gianni nämlich noch nie anfreunden - obwohl er als Schwuler und Rom eigentlich gleich zu zwei sogenannten Minderheiten gehört. Er habe einfach ein neues Narrativ kreiert, sagt er: die "kleine Mehrheit". Und das gefällt ihm schon viel besser, es sei weniger abwertend und positiver.

"Es gibt sehr viele kleine Mehrheiten: Menschen mit Behinderungen, die queere Community, Roma, Juden und Jüdinnen. Frauen werden immer noch als Minderheit dargestellt, obwohl sie prozentual die Mehrheit sind. Das alles zusammen sind keine Minderheiten, sondern für sich insgesamt kleine Gruppen, die eine Mehrheit ergeben. Und zusammen können wir ja eine gemeinsame Mehrheit sein."
Gianni Jovanovic, Autor und Aktivist

Warum Gianni sich stark macht gegen Rasismus und für eine offenere Gesellschaft, beschreibt er im Vorwort seines Buchs: "Ich konnte mich nie mit den Ungerechtigkeiten und Missständen abfinden, die mir immer wieder begegneten", heißt es da.

Und: "Ich möchte, dass wir Menschen mit Diskriminierungserfahrungen über unsere Erlebnisse sprechen können, ohne dass ein Stigma für uns zurückbleibt."

"Für mich ist es halt einfach sehr schmerzhaft zu spüren, dass Menschen immer noch in dieser rassistischen Grundhaltung uns gegenüber sind, und dass das auch gesamtgesellschaftlich so toleriert wird."
Gianni Jovanovic, Autor und Aktivist

Das Verbrechen an den Sinti und Roma, gerade im Holocaust, sei gesamtgesellschaftlich nie richtig aufgearbeitet worden, sagt Gianni. Und die Ressentiments lebten bis heute fort. Beispiele kennt er zur Genüge.

Dem Vater heute verziehen

Um seine eigene Lebensgeschichte aufzuarbeiten, musste Gianni sich auch historisch und politisch mit der Geschichte und Kultur der Sinti und Roma auseinandersetzen. Er habe dadurch erst verstanden, sagt er, warum er beispielsweise so früh verheiratet wurde. Am Ende habe das bei ihm einen "Heilungsprozess" ausgelöst, und nach vielen Jahren konnte er auch seinem Vater verzeihen.

"Meine Familie ist so gestört und so lustig."
Gianni Jovanovic, Autor und Aktivist

Familie bedeutet Gianni bis heute "alles". Mit seinen beiden Kindern hat er Kontakt gehalten. Und auch wenn es immer noch Dispute mit seinem Vater gibt oder seine Stimme bricht, wenn er von ihm erzählt: Er weiß, dass er sich im Grunde auf ihn verlassen kann.

Lachen als Überlebensstrategie

Geholfen hat ihm dabei auch eine gute Portion Humor - "weil Humor einfach eine Überlebensstrategie ist". Zu lachen bedeute nicht, Dinge weniger Ernst zu nehmen, sagt er. "Aber wenn du wirklich leidest und so viel Gewalt erfährst und so viele transgenerationelle Traumata zu verarbeiten hast, dann hast du als betroffene Person das Recht, darüber zu lachen, drüber zu weinen, aber auch darüber zu verzweifeln."

"Das ist für mich eigentlich die größte Erkenntnis dabei, dass ich es in der Hand habe, der Mensch zu sein, der ich will. Unabhängig davon, was Eltern oder Gesellschaft in mich projizieren."
Gianni Jovanovic, Autor und Aktivist

Für sich selbst hat Gianni einen Weg zu Zufriedenheit und Selbstliebe gefunden - und nebenbei auch noch mit einem Männerbild aufgeräumt, das nichts mit ihm zu tun hat: "Ich muss maskulin aussehen, ich muss einen tollen Körper haben, ich muss einen großen Penis haben, ich muss erfolgreich sein in meiner Arbeit, ich muss ein toller Vater sein, ich muss ein toller Ehemann sein, ich muss ein toller Aktivist sein."

Nein, da sei er doch lieber der "weiche, cremige, liebe Gianni. Ich glaube, das kommt auch ganz gut an."

"Diese ganze konstruierte Scheiße, was so meine Männlichkeit betrifft, mit der habe ich sowieso gebrochen."
Gianni Jovanovic, Autor und Aktivist
Shownotes
Deutscher, Rom und schwul
"Ich habe es in der Hand, der Mensch zu sein, der ich will"
vom 20. Februar 2022
Moderator: 
Sebastian Sonntag
Gesprächspartner: 
Gianni Jovanovic, Aktivist und Autor