Seit Beginn der Corona-Pandemie hat häusliche Gewalt zugenommen, sagt Familienministerin Franziska Giffey. Das betrifft vor allem Frauen und Kinder, aber auch Männer - denn etwa jedes fünfte Opfer ist männlich. Sascha Niemann arbeitet beim Verein "Wendepunkt" in Schleswig Holstein und berät Männer, die Opfer von Gewalt geworden sind.
Es gibt verschiedene Formen der Gewalt, mit der wir Zuhause konfrontiert sein können. Neben denjenigen, die sexuelle Gewalt erfahren haben, gibt es einen großen Anteil von Opfern, die bedroht werden oder klassische häusliche Gewalt zum Beispiel in Form von Schlägen erfahren, sagt Sascha Niemann, Mitarbeiter bei der Beratungsstelle "Wendepunkt e.V."
Auch wenn viele von uns bei häuslicher Gewalt automatisch an Frauen und Kinder denken, ist die Zahl der männlichen Opfer nicht unerheblich. Laut dem Bundeskriminalamt beträgt der Anteil der männlichen Opfer im Bereich der Partnerschaftsgewalt 18,7 Prozent, das heißt, fast jedes fünfte Opfer ist männlich.
"Oft fehlt es an einem Gefühl dafür, selber Opfer der Tat geworden zu sein. Das hat was mit mir, mit antiquierten Männlichkeitsbildern zu tun und natürlich auch zu einem großen Teil mit der Akzeptanz in der Gesellschaft."
Gerade zurzeit, während der aktuellen Corona-Pandemie, sind die Menschen häufiger in ihren Wohnungen und "hocken dort aufeinander", sagt Sascha Niemann. Dennoch melden sich derzeit bei seiner Beratungsstelle nicht mehr Männer als vor der Pandemie. Er vermutet, dass die soziale Kontrolle durch die neue Situation für Betroffene größer geworden ist. Und dass es nun den Opfern schwerer fallen könnte, sich Hilfe zu suchen - beispielsweise unbemerkt beim Einkaufen. Sascha Nieman geht davon aus, dass es eine hohe Dunkelziffer an Fällen gibt.
Eine Gewalttat, die so nicht passieren darf
Sascha Niemann sagt, dass es für Männer, die Opfer von häuslicher Gewalt geworden sind, wichtig ist, diese Tatsache zunächst einmal zu akzeptieren. Zu verstehen, dass sie eine Gewalttat erlebt haben, die so nicht passieren darf. Dass es manchen Männern schwerfällt, sich einzugestehen, dass sie Gewalt erleben mussten, hänge auch mit antiquierten Männlichkeitsbildern zusammen.
Männer im Alter von 30 bis 60 Jahren hauptsächlich betroffen
Neben Opfern partnerschaftlicher Gewalt, die durch die Polizei an den Verein "Wendepunkt" vermittelt werden, rufen dort oft Menschen an, die bereits in ihrer Kindheit und Jugend sexuellen Missbrauch erlebt haben, sagt der Therapeut.
Die meisten Männer, die sich melden, sind zwischen 30 und 60 Jahren alt. Die Beratung ist sehr individuell: Sascha Niemann sagt, dass darauf geachtet wird, wie schutzbedürftig ein Mann ist und wie ausgeprägt sein Netzwerk an Personen ist, die ihn unterstützen können.
"Wenn Männer Opfer von häuslicher Gewalt geworden sind, geht es in erster Linie darum, diese Form von Gewalt als das zu akzeptieren, was sie ist: eine Gewalttat, die so einfach nicht passieren darf."
Bei Straftaten rät der Diplom-Pädagoge den Opfern in der Regel dazu, diese anzuzeigen. Für die Betroffenen gebe es unterschiedliche Wege, aus der bedrohlichen Situation herauszukommen. Bei partnerschaftlicher Gewalt werde beispielsweise darauf geschaut, ob sich das Opfer trennen kann. Denn selbst wenn jemand Gewalt erfahren hat, kann es ihm möglicherweise dennoch schwerfallen, sich zu trennen.
Männer, die bedroht werden oder Opfer von Gewalt geworden sind, können sich an das neu eingerichtete "Hilfetelefon – Gewalt an Männern" wenden, bundesweit zu erreichen unter: 0800 123 99 00.