• Deutschlandfunk App
  • Spotify
  • Apple Podcasts
  • Abonnieren

Leila war es schon immer sehr wichtig, sich gesund zu ernähren. Heute sagt sie, dass sie aber zeitweise zu streng mit sich war. Eine Psychologin erklärt, woran Betroffene merken, dass gesunde Ernährung ungesund wird und ihnen nicht mehr gut tut.

Leila (28) aus Berlin hat schon früh zu Hause gesunde Ernährung vorgelebt bekommen. Und es hat ihr auch viel Freude bereitet, darauf zu achten, was sie isst. Ihr ging es lange Zeit gut damit. Sich gesund zu ernähren, hat Leila auch bei ihrer Endometriose geholfen, sie hatte dadurch weniger Schmerzen. Irgendwann wurde es aber zu viel mit dem Gesundheitsbewusstsein beim Essen.

Kontrolle und Stress beim Essen

Leila sagt, dass sie plötzlich Angst hatte, bestimmte Lebensmittel zu sich zu nehmen, in denen etwa Zucker oder Gluten enthalten war, aber auch verarbeitete Produkte. Ihr Essen sollte so natürlich wie möglich sein. Deshalb hat sie angefangen, akribisch auf Packungen nachzuschauen, welche Inhaltsstoffe enthalten sind.

Essengehen mit Freunden oder Freundinnen hat sie auch sehr gestresst. Leila wollte beispielsweise bestimmen, in welches Restaurant es geht oder auch vorher in die Karte schauen: "Um zu checken, gibt es da etwas, was dem entspricht, was ich mir ernährungstechnisch vorstelle." Ihre Endometriose ist dann auch eher in den Hintergrund gerückt. Es ging in erster Linie um die gesunde Ernährung.

"Ich wollte einfach nur das essen, was wirklich gut für meine Gesundheit ist."
Leila, achtete sehr auf gesunde Ernährung, eine Zeit lang sogar zu sehr

Leila hat auch gemerkt, dass es sich positiv auf ihre Haut und ihre mentale Gesundheit ausgewirkt hat, gesund zu essen: "Es war so eine Phase, in der ich dachte: Wenn ich jetzt einen Ausrutscher habe, dann könnte das schon negative Konsequenzen haben." Dieser Stress, den sie sich in der Zeit gemacht hat, ist Leila erst später bewusst geworden. Sie spricht von einem Kontrollmodus, der ihr auch viel Energie geraubt hat.

"Da ist das Problem, dass das mit der Zeit auch ungesund werden kann, wenn Betroffene sich sehr einseitig ernähren."
Friederike Barthels, Psychologin

Orthorexie: zwanghaftes Essverhalten

Expertinnen und Experten sprechen bei so einem zwanghaften Essverhalten von dem Phänomen Orthorexie. Dabei haben Betroffene das sehr starke Bedürfnis, sich besonders gesund zu ernähren, erklärt die Psychologin Friederike Barthels: "Das Besondere ist, dass sie ihre ganz eigene Definition von gesunder Ernährung aufstellen. Es geht nicht unbedingt darum, sich an allgemein bekannte Ernährungsregeln zu halten. Viele entwickeln so eine ganz eigene Vorstellung davon, was eigentlich gesund ist und was ungesund ist."

Betroffene seien häufig sehr streng mit sich und würde sich bestimmte Lebensmittel verbieten, aus Sorge, sie könnten ungesund sein, so die Expertin. Sie weist auch darauf hin, dass Orthorexie keine anerkannte Diagnose ist. Deshalb sei es auch schwierig, Zahlen zu nennen, wie viele Menschen betroffen sind. Laut Friederike Barthels wird es aber eine ähnliche Zahl sein wie bei anderen Essstörungen. Demnach wären etwa 0,5 bis ein Prozent der Bevölkerung betroffen.

"Es scheinen schon eher jüngere Menschen betroffen zu sein. Allerdings muss man dazu sagen, dass viele Studien, die im Universitätskontext durchgeführt werden, häufig mit jüngeren Personen durchgeführt werden", sagt die Psychologin. Deshalb lasse sich schwer sagen, wie es in älteren Altersgruppen aussieht.

Orthorexie auch bei Männern verbreitet

Was der Expertin zufolge bei bisherigen Untersuchungen herauskam: Das Geschlechterverhältnis bei Orthorexie war teilweise ausgeglichen. Anders als bei anderen Essstörungen, bei denen häufig deutlich mehr Frauen betroffen sind.

Der Psychologin zufolge sollten Menschen, die sehr auf ihre Ernährung achten, ein Anzeichen besonders im Blick haben – und zwar den psychische Leidensdruck. Ein Hinweis, dass die Lebensweise der Person nicht mehr guttut: "Wenn ich selber das Gefühl habe, es tut mir überhaupt nicht mehr gut, meine Ernährung zu tracken oder bestimmte Ernährungsphilosophien zu verfolgen oder ich merke, dass mein Sozialleben eingeschränkt ist."

Es gibt aber auch körperliche Merkmale: Wenn sich Personen beispielsweise nur noch von bestimmten Lebensmitteln ernähren, dann können auch Mangelerscheinungen auftreten.

Wichtig: Sich Zeit nehmen fürs Essen

Seit der Corona-Pandemie stellt die Ernährungsexpertin Franziska Hirsch fest, dass die Zahl der Menschen zunimmt, die sich Hilfe wegen Orthorexie oder anderer Essstörungen suchen. Wenn Personen zu ihr in die Praxis kommen, die keine gesunde Beziehung zum Essen haben, ist ein wichtiger Schritt: Selbstreflexion. Die Betroffenen sollen in sich hineinspüren und überlegen, wie es ihnen mit ihrer Ernährung geht, was Essen für sie bedeutet und wie der Körper darauf reagiert.

Franziska Hirsch rät dazu, ganz bewusst zu essen: "Langsam essen und langsam kauen. Wahrnehmen, was esse ich da eigentlich. Wie schmeckt das. Sich Zeit nehmen." Franziska Hirsch rät auch dazu, keine Angst vor Genuss zu haben, und auch in stressigen Situationen einen ruhigen Blick aufs Essen zu haben. Das könne zum Beispiel mit einer kleinen Mediation gelingen.

Leilas Aha-Erlebnis im Auslandssemester

Auch Leila hat irgendwann gemerkt, dass ihre Ernährungsweise nicht die beste ist. Ihr Auslandssemester in Los Angeles hat den entscheidenden Impuls gegeben: "Da bin ich komplett aus meinen Routinen rausgerissen worden. Ich habe mich immer noch gesund ernährt, aber ich habe auch mal Ausnahmen gemacht, bin öfter ausgegangen und habe auch Alkohol getrunken. Und hatte dann am nächsten Tag auch ungesundes Hangover-Essen." Und Leila hat es nicht bereut.

"Ich habe gemerkt, auch wenn ich nicht so streng lebe wie vorher, fühle ich mich vital und fit."
Leila, achtete sehr auf gesunde Ernährung, eine Zeit lang sogar zu sehr

Trotzdem sagt Leila, dass sie weiter an gesunder Ernährung festhalten will, weil es ihr dann körperlich auch besser geht. Aber sie weiß inzwischen, dass sie Ausnahmen machen kann – ohne schlechtes Gewissen.

Hinweis: Auf dem Bild ganz oben ist nicht Leila zu sehen.

Meldet euch!

Ihr könnt das Team von Facts & Feelings über WhatsApp erreichen.

Uns interessiert: Was beschäftigt euch? Habt ihr ein Thema, über das wir unbedingt in der Sendung und im Podcast sprechen sollen?

Schickt uns eine Sprachnachricht oder schreibt uns per 0160-91360852 oder an factsundfeelings@deutschlandradio.de.

Wichtig:
Wenn ihr diese Nummer speichert und uns eine Nachricht schickt, akzeptiert ihr unsere Regeln zum Datenschutz und bei WhatsApp die Datenschutzrichtlinien von WhatsApp.

Empfehlungen aus dem Beitrag:
  • Barthels, F., Pietrowsky, R. (2024). Orthorektisches Ernährungsverhalten: Forschung und Praxis. Hogrefe. ISBN: 9783801731823
Shownotes
Essen und Schuldgefühle
Gesunde Ernährung: Wie machen wir uns weniger Druck?
vom 24. März 2025
Gesprächspartnerin: 
Leila, achtete sehr auf gesunde Ernährung, eine Zeit lang sogar zu sehr
Gesprächspartnerin: 
Friederike Barthels, Psychologin, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Therapie- und Gesundheitsforschung in Kiel, forscht seit zwölf Jahren zu Orthorexie
Gesprächspartnerin: 
Franziska Hirsch, Ernährungsfachkraft
Autor und Host: 
Przemek Żuk
Redaktion: 
Betti Brecke, Stefan Krombach, Friederike Seeger
Produktion: 
Jan Morgenstern
Quellen: