Am Berliner Bahnhof Südkreuz wurden ein Jahr lang die Gesichter von Freiwilligen gescannt. Zum Test. Fazit? Die Politik äußert sich (noch) nicht – die Hersteller selbst sehen Chancen, aber auch Gefahren.
300 Menschen haben an der Testphase am Berliner Bahnhof Südkreuz ein Jahr lang mitgemacht. In dieser Zeit dürften sie sich ziemlich beobachtet gefühlt haben. Aber sie haben sich bewusst dazu entschieden mitzumachen und ihre Gesichter scannen zu lassen – immer identifizierbar zu sein.
Gesichtserkennung zum Schutz der Bevölkerung
Ein Segen für das Innenministerium, die Bundespolizei und die Deutsche Bahn. Sie brauchten die Testpersonen um herauszufinden, welche der drei verschiedenen Softwares zur Gesichtserkennung am besten funktioniert. Damaliger Innenminister war Thomas de Maizière, dessen Ziel damals war, "fundiert dafür streiten zu können, Gesichtserkennung im Interesse des Schutzes der Bevölkerung unter rechtsstaatlichen Bedingungen einsetzen zu können."
Der Test lief bis zum 31. Juli 2018 und eigentlich sollten die Ergebnisse schon längst vorgestellt worden sein. Sind sie aber nicht. Trotzdem gibt es Ergebnisse. Vielleicht kann man auch sagen: Erkenntnisse.
Gesichtserkennungssoftware gefährdet Menschenrechte
Da sich die Politik bisher nicht dazu äußert, wie sie den Gesichtserkennungstest bewertet, haben wir bei denen nachgefragt, die die Software dazu herstellen und vertreiben. Klar, betonen die Hersteller die Chancen ihrer Produkte; in puncto Sicherheit und Kriminalitätsbekämpfung etwa. Sie sagen aber auch ganz offen, dass durch Gesichtserkennung Menschenrechte in Gefahr sind. Der Riese Microsoft erstaunt in einem Blogeintrag mit der Überschrift "Es braucht öffentliche Regulierung und unternehmerische Verantwortung" besonders mit offenherziger Nachdenklichkeit – ja nahezu Selbstkritik:
"Gesichtserkennung wirft Probleme auf, die den Schutz von grundlegenden Menschenrechten, wie Privatsphäre und Meinungsfreiheit im Kern treffen."
Das Unternehmen fordert sogar eine gesetzliche Regulierung für die Nutzung von Gesichtserkennungssoftware. Klingt ein bisschen nach: So, wir haben das Produkt jetzt auf den Markt gebracht, ihr müsst aber zusehen, dass damit nichts Schlimmes passiert. Das kann es nämlich. Haben wir jetzt auch gemerkt.
Keine gesetzlichen Regeln in Deutschland
Klare Regeln für Unternehmen gibt es in den USA in dieser Form nicht. Und bei uns? In Deutschland gibt es sie auch nicht. Anders als beispielsweise bei der Telefonüberwachung – wo Gesetze sehr exakt formuliert wurden in der Vergangenheit.
Wenn es hier in Deutschland auf diesem Überwachungssegment also weiter gehen soll, müsste der aktuelle Innenminister Seehofer Rechtsgrundlagen dafür schaffen, dass Bewegtbilder von Menschenmengen mit Bilddatenbanken des Verfassungsschutzes und der Polizeien abgeglichen werden können.
50 Millionen Bilder pro Sekunde
Die Software der Firma Herta zum Beispiel war auch am Berliner Südkreuz im Einsatz. Die Technik schafft es, pro Sekunde jedes in einer Menschenmenge erfasste Gesicht mit 50 Millionen Bildern aus einer Datenbank zu vergleichen. Aus Spanien heraus kann man die Bedenken in Deutschland wenig nachvollziehen. Marketingchefin Laura Blanc betont aber, dass das System standardmäßig verkauft wird und an die Gesetzeslage im jeweiligen Land angepasst werden muss.
"Ich kann verstehen, dass es da ein klein wenig Skepsis gibt. Aber wir klären die Menschen auf, damit sie verstehen, dass diese Technologie Sicherheit schafft."
Gesichtserkennung: In China werden Bürger kontrolliert
Um eine Ahnung davon zu bekommen, welche Gefahren die Nutzung von Gesichtserkennungssoftware bringen kann, reicht der Blick nach China. Dort ist sie an vielen Orten flächendeckend im Einsatz und wird dazu genutzt, die Bürger zu kontrollieren – auch bei Kleinigkeiten, etwa, wenn jemand über eine rote Ampel geht. Das beklagt auch der Chef der Firma Elbex, Hans Sennebogen. Dessen Gesichtserkennungssystem Anyvision wurde ebenfalls am Südkreuz getestet.
"Wenn sie in China bei Rot über die Straße gehen, werden sie erkannt und an den Pranger gestellt."
Die Vorteile seiner Software sieht er mit Blick auf eine gewinnbringende Nutzung in Deutschland auf anderen Anwendungsfeldern. In Altenheimen beispielsweise, wo das System demenzkranke Menschen erkennen könnte. Wenn diese sich allein dem Ausgang nähern, könnten die Türen verschlossen werden. Natürlich mit vorheriger Einwilligung der Angehörigen und Betreuer.
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