Nach einer Fehlgeburt einfach wieder arbeiten? Von Natascha Sagorski wurde das so erwartet – seitdem kämpft sie für Mutterschutz nach Fehlgeburten. Offenbar mit Erfolg: Die Fraktionen von SPD, Union, Grünen und FDP haben sich auf eine Regelung geeinigt.
Für Natascha Sagorski ist es ein großer Schock, als ihr Gynäkologe ihr mitteilt, dass der Herzschlag ihres ungeborenen Kindes nicht mehr zu hören ist. Es ist ihre erste Schwangerschaft und die zehnte Schwangerschaftswoche.
Das Baby, auf das sich Natascha so freute, mit dem sie durch Sprechen und dem Auflegen ihrer Hand auf ihren Bauch kommuniziert hatte, lebt von einem Moment auf den anderen nicht mehr.
"Das Baby in deinem Bauch, auf das du dich so gefreut hast, das lebt nicht mehr. Das war ein Gefühl, das man nur ganz schwer beschreiben kann."
Kurz darauf folgte der zweite Schock: Wie es in Deutschland üblich ist, wird Natascha Sagorski von ihrem Arzt für eine sogenannte Ausschabung an ein Krankenhaus überwiesen.
"Das hat die ganze Welt angehalten. Ich hab sofort angefangen zu weinen, weil ich wusste: Das ist jetzt etwas ganz Endgültiges."
Es ist ein Eingriff unter Vollnarkose, bei dem der tote Fötus und die Gebärmutterschleimhaut, die sich während der ersten Schwangerschaftswochen aufgebaut hat, aus der Gebärmutter abgesaugt oder abgetragen werden.
Eine Krankschreibung sei nicht nötig, sagt ihr die Ärztin. Sie könne am folgenden Tag wieder arbeiten gehen, wird Natascha nach dem Ende der Behandlung mitgeteilt.
"Ich hätte immer gedacht, dass eine Frau bei einer Fehlgeburt automatisch krankgeschrieben wird."
Denn Mutterschutz nach einer Fehlgeburt gibt es in Deutschland bisher nicht. Acht Wochen Mutterschutz nach einer Entbindung bekommen Frauen erst, wenn sie die 24. Schwangerschaftswoche erreicht haben. Oder wenn das ungeborene Kind mehr als 500 Gramm wiegt.
Alles davor gilt als Fehlgeburt. Für Natascha Sagorski ein Missstand, der sich rund drei Jahre nach ihrer Fehlgeburt nun ändern soll. Darauf haben sich die Union, SPD, Grüne und FDP geeinigt. Ende Januar soll dazu eine Gesetzesänderung verabschiedet werden.
Natascha setzt sich drei Jahre lang für eine Gesetzesänderung ein
Die Ärztin sagt Natascha damals zwar, dass sie arbeiten könne, Tatsache ist aber, dass Natascha extrem unter dem Verlust ihres ungeborenen Babys leidet und dauerhaft so sehr weinen muss, dass es ihr nicht mal möglich ist, ihren Frauenarzt anzurufen.
Diesen Anruf übernimmt dann Nataschas Mann. Die beiden erhalten die Auskunft, dass die gynäkologische Praxis nicht für eine Krankschreibung zuständig ist. Natascha fühlt sich abgewimmelt, wie sie sagt. Ihr Hausarzt schreibt sie schließlich für eine Woche krank. Nach Ablauf dieser Woche muss Natascha persönlich in die Praxis kommen, damit die Krankschreibung um eine weitere Woche verlängert wird.
Natascha informiert sich über Fehlgeburten und Mutterschutz
Dieses einschneidende Erlebnis der Fehlgeburt führt dazu, dass Natascha Sagorski sich intensiv mit der Frage des Mutterschutzes nach einer Fehlgeburt auseinandersetzt.
Sie informiert sich, recherchiert, führt Interviews und veröffentlicht diese als Buch mit dem Titel "Jede 3. Frau: 25 Frauen erzählen von ihren Schwangerschaften ohne Happy End – und wie sie danach trotzdem ihren Weg gefunden haben".
Ein Tabuthema, für das Natascha zunächst wenig Gehör findet
Natascha stellt überrascht fest, dass es in Deutschland, dem Statistik-Weltmeister, wie sie sagt, keine Statistik darüber gibt, wie viele Frauen in Deutschland eine Fehlgeburt erleiden. Bis heute gibt es nur Schätzungen, dass jede dritte Frau in Deutschland eine Fehlgeburt erleidet.
Die PR-Beraterin und Autorin entdeckt bei ihren Recherchen das Konzept des gestaffelten Mutterschutzes: Je länger eine Schwangerschaft dauert, desto länger sollte der Mutterschutz anhalten. Das findet sie schlüssig.
"Generell sind Fehlgeburten wahnsinnig mit Scham behaftet – ein Tabuthema. Und dann auch noch das Gefühl, das suggeriert wird: Krankschreibung? Jetzt stellen sie sich mal nicht so an."
Und sie erfährt außerdem, dass in skandinavischen Ländern nach einer Fehlgeburt nicht automatisch eine Ausschabung erfolgt. In diesen Ländern werde in der Regel abgewartet, dass der Körper den Abort auf natürlichem Weg selbst regelt, sagt Natascha Sagorski. Das sei viel schonender, findet sie.
Zunächst findet Natascha wenig Gehör bei Politiker*innen. Sie wird aktiv und ruft eine Online-Petition für gestaffelten Mutterschutz nach Fehlgeburten ins Leben. Unfassbar viele Frauen melden sich daraufhin bei Natascha, berichtet sie. Nach und nach sind auch mehr Politiker*innen bereit, die Autorin anzuhören.
Sie erhält eine Einladung von Leni Breymeier, einer Obfrau der SPD, die Teil des Familienausschusses ist. Nach dem einstündigen Gespräch mit Natascha Sagorski ist der Politikerin die Tragweite des Problems ersichtlich und sie beantragt eine Anhörung im Bundestag.
Was sich durch die Gesetzesänderung verändert
Durch die Gesetzesänderung, die für Ende Januar geplant ist, soll der Mutterschutz auf Frauen mit Fehlgeburten ausgeweitet werden. Der Mutterschutz wird dabei gestaffelt:
- Frauen sollen dann schon ab der 13. Schwangerschaftswoche Anrecht auf Mutterschutz haben.
- Je länger sie schwanger waren, desto länger soll der Mutterschutz andauern.
- Eine Frau, die eine Fehlgeburt zwischen der 13. und der 17. Woche hat, soll Anspruch auf zwei Wochen Mutterschutz bekommen.
- Ab der 17. Schwangerschaftswoche stehen Frauen sechs Wochen zu.
- Ab der 20. Schwangerschaftswoche sind es acht Wochen.
- Und wichtig dabei ist: Frauen müssen den Mutterschutz nicht in Anspruch nehmen, wenn sie das nicht möchten. Sie können auch arbeiten, wenn sie sich dafür entscheiden.
Rund drei Jahre hat sich Natascha Sagorski für diesen gestaffelten Mutterschutz für Frauen nach einer Fehlgeburt eingesetzt. Für sie selbst hätte diese Gesetzesänderung nichts geändert, weil sie sich damals in der 10. Schwangerschaftswoche befand. Ihr Ziel war es ursprünglich, dass Frauen bei einer Fehlgeburt schon ab der 6. Schwangerschaftswoche Mutterschutz erhalten. Dennoch hält Natascha Sagorski die geplante Gesetzesänderung für ein Weihnachtswunder, wie sie sagt.
Hier findest du Hilfe:
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