Jemand hat das "politische Momentum" – Wenn wir über Gesellschaft reden, benutzen wir oft Vokabeln wie diese, die auf den Einsatz von Energie hinweisen. Soziologe Hartmut Rosa fragt sich, woher diese Energie stammt und wie sie sich beschreiben lässt.
"Bewegung braucht Energie" gilt nicht nur für die Physik, denkt Soziologe Hartmut Rosa. Seit der Veröffentlichung seines Bandes "Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne" (2005) beschreibt er Modernisierungsprozesse aller Art als Wege, die "Welt buchstäblich in Bewegung zu versetzen". Jetzt will der Soziologe diese Energie genauer unter die Lupe nehmen.
"Was treibt politische Operationen an und was treibt politische Transformation an?"
Diese Energie wird überall da nötig, wo gesellschaftliche Interaktion stattfindet. Solche soziale Interaktion kann laut Hartmut Rosa aufladend wirken, also im Verbrauch neu entstehen. Gleichzeitig erleben manche heißlaufende soziale Interaktion als negativ. Wenn soziale Energie investiert wird, ohne dass etwas zurückkommt, legt sich das wie Mehltau auf die Beziehungen. Energie wird vernichtet, Interaktion erstickt.
Gesellschaft in der Energiekrise
Mit dem Historiker Ian Morris definiert Hartmut Rosa soziale Energie als die "Fähigkeit, Dinge in der Welt gegen Widerstand zu bewegen und zu erreichen". So gesehen ist auch Geld gespeicherte soziale Energie. Und der Soziologe bescheinigt uns eine gesellschaftliche Energiekrise.
"Wir müssen investieren, wir müssen wachsen, wir müssen schnell werden. Das übersetzt sich in Ihre To-do-Listen: Sie sollten dringend zum Vortrag gehen, Sie sollten achtsam sein, Sie sollten die Literatur für morgen gelesen haben usw."
Rosa zitiert in seinem Vortrag aus Theodor W. Adornos "Minima Moralia" eine Art Hoffnung auf einen Ausweg aus der Steigerungslogik: "Vielleicht wird die wahre Gesellschaft der Entfaltung überdrüssig und lässt aus Freiheit Möglichkeiten ungenützt, anstatt unter irrem Zwang auf fremde Sterne einzustürmen."
Hartmut Rosa ist Professor für Allgemeine und Theoretische Soziologie an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena. Seinen Vortrag mit dem Titel "Brauchen wir ein Konzept sozialer Energie?" hat er am 7. November 2023 auf Einladung seines Kollegen Andreas Reckwitz im Rahmen der Reihe "Theorie & Gesellschaft" an der Humboldt-Universität zu Berlin gehalten.