Wer mit akuten Beschwerden zum Arzt geht, möchte so schnell und so gut wie möglich versorgt werden. Das ist aber leider nicht immer der Fall. Denn das Geschlecht der erkrankten Menschen wird in Forschung und Therapie kaum berücksichtigt. Ein Vortrag der Medizinerin Ute Seeland.
Herzkrankheiten lösen bei Frauen oftmals andere Beschwerden aus als bei Männern, sie nehmen andere Verläufe und müssen gezielt behandelt werden. Das passiert aber nicht, da Frauen in den entsprechenden kardiologischen Studien unterrepräsentiert sind. Sie werden so behandelt, wie es die Studien mit überwiegend männlichen Teilnehmern nahelegen, kritisiert Ute Seeland, Fachärztin für Innere Medizin und Professorin für geschlechtersensible Medizin.
Schon in der Grundlagenforschung, bei Zellstudien, werde oft vernachlässigt, welchem Geschlecht die jeweilige Zelle zuzuordnen sei.
"Ist das jetzt eigentlich eine Zelle von einem männlichen oder einem weiblichen Tier?"
In den allermeisten Fällen allerdings stammten die Zellen von männlichen Tieren. So dass die Aussagekraft der Ergebnisse für das weibliche Geschlecht limitiert sei. Das sei auch in der kardiologischen Forschung zu beobachten. Wenn man die Daten raussuche und überprüfe, würde man feststellen: Sie stammten in klinischen Studien zur Kardiologie zu 75 Prozent von Männern.
"Wir arbeiten mit Daten über einen Menschen, den es so gar nicht gibt."
Ute Seeland sagt, wenn man diese Ergebnisse dann mittelt, dann bekommen wir Daten über einen Menschen, den es so gar nicht gebe. Und dieser Trend setze sich fort, zum Beispiel bei der Forschung zu Medikamenten, Operationsmethoden und Therapien.
Data-Gender-Gap hat Nachteile für beide Geschlechter
Da sich die Bevölkerung aus 51 Prozent Frauen und 49 Prozent Männern zusammensetze, sei diese Einseitigkeit inakzeptabel. Zumal sich etwa Symptomatik und Verlauf einer Herzklappen-Erkrankung bei Männern und Frauen unterscheide.
"Welche Herzklappe ist krank? Ist sie sehr verengt? Oder ist sie viel zu weit? Herzklappen-Erkrankungen machen Geräusche."
Seeland fordert eine Renaissance des Stetoskops. Dieses Werkzeug der ärztlichen Untersuchung müsse wieder viel häufiger eingesetzt werden, um Herzklappen-Erkrankungen in einem frühen Stadium zu erkennen.
Dieser Gender-Data-Bias oder Data-Gender-Gap hat laut Seeland auch Nachteile für männliche Patienten. In Studien zur Rheumatologie seien diese unterrepräsentiert. Auch in der Forschung zu depressiven Erkrankungen oder Brustkrebs würden Verläufe und Therapie von männlichen Patienten nicht ausreichend berücksichtigt.
Ute Seeland ist Fachärztin für Innere Medizin und Professorin für geschlechtersensible Medizin an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Sie hat ihren Vortrag über "Geschlechtersensible Medizin. Wenn Ungleichbehandlung mal gut ist" am 8. Juni 2024 in Magdeburg gehalten, im Rahmen des Wissenschaftsfestivals Tomorrow Labs, den wir vom Hörsaal präsentieren durften.