Unsere Darstellung und Wahrnehmung von Krieg, Gewalt und Frieden sind geschlechtsspezifisch verzerrt, sagt die Historikerin Claudia Kemper im Vortrag. Gewaltdiskurse und Gewalterfahrungen lassen sich ihr zufolge nur gemeinsam verstehen und verändern.
Die mediale Darstellung von Krieg und Gewalt, sei es in den Nachrichten oder in fiktiven Werken wie Romanen und Serien, legt meist eine geschlechtstypische Zuordnung nahe: Frauen sind eher friedfertig, Opfer und unterlegen, Männer eher gewalttätig, Täter und überlegen.
Krieg, Gewalt und Frieden haben einen Gender-Bias
Die Folgen dieses Gender-Bias' erklärt die Historikerin Claudia Kemper anhand konkreter Beispiele in ihrem Vortrag: Wenn sich etwa die Berichterstattung über die IS-Überfälle auf kurdische Dörfer im Nordirak fast ausschließlich auf das Schicksal jesidischer Frauen als Opfer sexueller Gewalt konzentriert, dann offenbare das zum einen "machtvolle Stereotype, Zuweisungen und Festschreibungen“, zum anderen werde so der Blick auf größere Zusammenhänge verstellt.
"Mit dem Begriff 'Schicksal‘ richtet sich die Aufmerksamkeit ganz und gar auf das akute grausame Ereignis – ohne Kontext und ohne ein Vorher oder Nachher."
Diese Schicksale auch zu erzählen, ist wichtig - keine Frage. Wird sich aber allein auf sie fokussiert, würden die Schicksale anderer Frauen und Männer verdeckt, die ebenso und auf viele unterschiedliche Weisen unter dem Terror des IS zu leiden hatten, kritisiert Kemper.
"Es gibt keine Geschlechterordnung, die nur im Krieg herrscht. Und es gibt auch keine geschlechtsspezifische Gewalt, die nur im Krieg ausgeübt wird."
Zudem gerate aus dem Blick, dass die Geschlechterordnung in Krieg und Militär genauso wie geschlechtsspezifische Gewalt in Kriegssituationen eine Vorgeschichte in der Vorkriegszeit, Kontinuitäten in die Nachkriegszeit und einen Kontext in der Gesellschaft haben. Diese verengte Sichtweise verhindert es, so der Schluss, geschlechtsspezifische Gewalt wirklich zu verstehen – und somit vielleicht auch zu verhindern.
"Die Darstellung von Gewalt, die anderswo und anderen geschieht, offenbart viel über die Vorstellungswelt des Beobachtenden."
Nicht zuletzt werde über Gewalt im globalen Süden in westlichen Ländern oft auch voyeuristisch berichtet, "angereichert mit orientalisierenden und barbarisierenden Elementen“, so die Beobachtung der Historikerin. Nicht nur die Täter würden so rassifiziert, auch die Gewalterfahrungen der Frauen.
"Gerade die Hartnäckigkeit dieser Zuweisungen und Stereotype sollte uns auffordern, die Mechanismen zu erkennen, die sie bedingen. Denn nur dann können diese Mechanismen auch verändert werden."
In ihrem Vortrag stellt Claudia Kemper drei Thesen zu der Frage nach der Geschlechterordnung von Gewalt, Gewalterfahrung und Nachkriegszeiten auf und erklärt diese mit konkreten Beispielen.
"Kein Frieden ist universell gültig. Sondern jeder Frieden muss daraufhin befragt werden, wer ihn erfährt und für wen er gültig ist."
Claudia Kemper ist Wissenschaftliche Referentin am Referat Neuere und Neueste Geschichte des LWL-Instituts für westfälische Regionalgeschichte in Münster. Ihren Vortrag "Männlicher Krieg und weiblicher Frieden? Geschlechterordnungen von Gewalt, Gewalterfahrung und Nachkriegszeiten" hat sie am 16. November 2022 gehalten. Er war der Eröffnungsvortrag der dreitägigen Tagung "Der Krieg hat kein Geschlecht, das Militär schon? Militär. Geschichte. Geschlecht.", die vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) organisiert wurde.