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Die Erziehung zur Dankbarkeit hat einen großen Stellenwert bei uns. Aber warum eigentlich und seit wann? Der Historiker Jürgen Dinkel erklärt, warum Dankbarkeit als Tugend gilt und wie sie unsere Gesellschaft formt – aber auch, wie das "Danke" Hierarchien und Besitzverhältnisse festigen kann.

"Sag Danke!" – diese Mahnung haben wir wahrscheinlich alle mal von unseren Eltern gehört. Warum aber gilt das als so wichtig? Dankbarkeit fördert gesellschaftliche Harmonie und funktioniert wie ein sozialer Kitt, erklärt der Historiker Jürgen Dinkel.

Dankbarkeit als Bindemittel der bürgerlichen Gesellschaft

Gleichzeitig hat das "Danke" aber auch ambivalentere Seiten, fügt er hinzu: Erziehung zur Dankbarkeit kann gesellschaftliche Ordnung, das heißt auch Macht- und Eigentumsverhältnisse, stabilisieren und absichern.

So formt es etwa das Denken, wenn Kindern in der DDR Dankbarkeit gegenüber der Partei eingeimpft wurde. Oder es macht einen wichtigen Unterschied, ob von Menschen mit Behinderung Dankbarkeit für etwa die Barrierefreiheit von öffentlichen Orten erwartet wird – schließlich ist es ihr Recht.

"Dankesbezeugungen stellen keine universelle anthropologische Praktik dar, sondern eine historisch spezifische gesellschaftliche Geste, die erlernt und anerzogen werden muss."
Jürgen Dinkel, Historiker

Das sind nur zwei von vielen Beispielen aus der Zeit ab dem 18. Jahrhundert, die der Historiker in den Blick nimmt, um eine Geschichte der Dankbarkeit zu beginnen. In seinem Vortrag verfolgt er zunächst drei Leitfragen:

  • Welche Praktiken des Dankens lassen sich seit dem späten 18. Jahrhundert im deutschsprachigen Raum beobachten?
  • Welche Debatten entwickeln sich in dieser Zeit um das Thema Dankbarkeit?
  • Welche Gesellschaftsvorstellungen liegen diesen Dankbarkeitskulturen zugrunde?
"Wer des Undanks fähig ist, ist auch jeder schändlichen Handlung fähig. Denn in ihm ist die Quelle aller Tugend ausgetrocknet."
Matthäus Cornelius Münch im Jahr 1842, zitiert nach Jürgen Dinkel

Jürgen Dinkel wandert dabei etwa von den Unterschieden zwischen christlicher und bürgerlicher Dankbarkeit, über Dankbarkeit als Tugend und moralische Lebensgrundlage oder politisch geregelte Dankbarkeit in diktatorischen Zeiten bis hin zum Hype um Dankbarkeitstagebücher um das Jahr 2000 und der auch aktuell noch oft formulierten Klage, "die Jugend von heute" werde immer undankbarer.

"Danksagungen sind kulturell bedingt, wandelbar, haben eine Geschichte und sagen genau deshalb etwas über eine spezifische Kultur und Gesellschaft aus."
Jürgen Dinkel, Historiker
Jürgen Dinkel am Rednerpult
© KWI, Foto: eventfotograf.in
Dankbarkeit funktioniert wie ein sozialer Kitt, erklärt der Historiker Jürgen Dinkel.

Dankbarkeit als Spiegel der Gesellschaft

Der Vortrag gleicht dabei einem historisch-philosophischen Spaziergang – "Probebohrungen" nennt Jürgen Dinkel diese historischen Schlaglichter.

Denn noch sammelt und analysiert er in Sachen Dankbarkeit, steht ganz am Anfang: "Es ist noch zu früh, eine erschöpfende oder gar systematische Geschichte der Dankbarkeit zu schreiben." Wir bekommen also einen spannenden Einblick in work in progress.

Was aber jetzt schon klar scheint: Wie wir Dankbarkeit verstehen und leben, ist ein Spiegel unserer Gesellschaft und formt sie gleichermaßen mit – und: Das Ganze hat auch eine bedeutende politische Dimension.

"Erziehung zu Dankbarkeit wohnte auch ein Element inne, das auf Stabilisierung und Absicherung der gesellschaftlichen Ordnung und mithin der Eigentumsverhältnisse ausgelegt war."
Jürgen Dinkel, Historiker

Jürgen Dinkel ist Historiker und als solcher schon ganz schön rumgekommen – ein akademischer Wanderarbeiter im guten Sinne sozusagen: Er hat schon an vielen Stellen im In- und Ausland gewirkt und geforscht. Seine gesamte Bio findet Ihr hier, im Moment hat er die Vertretungsprofessor für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der Universität Duisburg-Essen inne. Zu seinen Schwerpunkten gehören deutsche und europäische Sozial- und Rechtsgeschichte, Globalgeschichte und Internationale Geschichte, Geschichte des Kolonialismus und der Dekolonisierung und seit Neuestem auch: Historische Dankesforschung. Seinen Vortrag "Du sollst Danke sagen. Eine kurze Geschichte der Dankbarkeit" hat er am 09. Juli 2024 auf Einladung des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen gehalten.

Ihr wollt den Hörsaal live erleben? Am 11. Oktober 2024 sind wir in Berlin! Hier gibt es Infos und einen Link zu den Tickets. Und am 01. November 2024 machen wir einen Live-Podcast in Halle – Infos dazu folgen noch!

Info: Unser Bild oben zeigt die Fassade eines von der Flut zerstörten Gebäudes in Marienthal am 03.12.2021 – Monate nach der Flutkatastrophe kämpften die Menschen dort und im gesamten Ahrtal noch immer mit den Folgen des Hochwassers.

Shownotes
Geschichte der Dankbarkeit
Wie Dankbarkeit die Gesellschaft formt
vom 06. September 2024
Moderation: 
Katrin Ohlendorf
Vortragender: 
Jürgen Dinkel, Historiker, Universität Duisburg-Essen
  • Vortragsbeginn
  • Save the date! Infos zu kommenden Hörsaal-Live-Podcasts!
Quellen aus der Folge: