Politische Gewalt im Ausland – zusehen oder eingreifen?
Wenn in anderen Ländern Gewalt geschieht, stehen wir vor der Frage: Sollte man eingreifen? Insbesondere in der Bundesrepublik wird diese Frage vor dem Hintergrund des Nationalsozialismus bis heute kontrovers diskutiert. Drei Vorträge betrachten die Debatte aus unterschiedlichen Blickwinkeln.
Im Sommer 2021 blickt die Welt nach Afghanistan, erschüttert über das Scheitern der jahrzehntelangen Intervention westlicher Staaten. Und im Raum stand erneut die Frage: Wie soll man mit Staaten umgehen, die massive Menschenrechtsverletzungen an der eigenen Bevölkerung verüben? Für die Bundesrepublik war das angesichts ihrer NS-Vergangenheit stets eine besonders spannungsgeladene Frage.
"Die ersten Staatsoberhäupter, die die Bundesrepublik ab 1954 besuchten, waren meist Autokraten, die dank der deutschen Suche nach Anerkennung pompöse Empfänge mit Jubel auf den Straßen erhielten."
In den 1950er Jahren war der Umgang mit autoritären Regimen noch wenig reflektiert, sagt Frank Bösch. Er leitet das Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam und ist Professor für deutsche und europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts an der Universität Potsdam. Insbesondere antikommunistische autokratische Staatschefs wurden zu pompösen Besuchen in Deutschland eingeladen, erklärt der Historiker.
"Die BRD bemühte sich einerseits, ihr internationales Ansehen gerade wegen der NS-Vergangenheit nicht durch eine zu offene Unterstützung rechter Diktatoren zu gefährden. Andererseits trat sie immer wieder gegen Sanktionen ein, um bundesdeutsche Wirtschaftsinteressen nicht zu gefährden."
In den 1960er Jahren wandelte sich der Umgang. "Migrantinnen und Migranten aus autokratischen Staaten forderten eine kritischere Auseinandersetzung", sagt Frank Bösch. Sie organisierten Proteste und politisierten erfolgreich Einzelfälle politischer Gewalt. Unterstützt wurden sie dabei von Gewerkschaften und der Studierendenbewegung, erklärt der Historiker in seinem Vortrag.
"Die schwierige Wahl zwischen 'nie wieder Auschwitz' und 'nie wieder Krieg' zeigt, wie ambivalent die Last der Geschichte sein kann."
Auch beim Umgang mit Völkermorden in anderen Ländern kamen die kritischen Impulse aus der Zivilgesellschaft. Während des Genozids in Kambodscha engagierten sich zahlreiche Freiwillige im Rahmen der Rettungsaktion Cap Anamur für Flüchtlinge aus Indochina.
Deutsche NS-Vergangenheit als Motivation für Engagement
Eine Motivation für das Engagement ist die deutsche NS-Vergangenheit gewesen, sagt Andrew Port. Er ist Historiker an der Wayne State University. In seinem Vortrag beschreibt er, wie ambivalent die 'Last der Geschichte' sein kann. Denn die NS-Vergangenheit sei in Debatten sowohl als Argument für eine Intervention, als auch dagegen angeführt worden.
"Tatsächlich wurde Deutschlands gewalttätige Vergangenheit genutzt, um diametral entgegengesetzte Schlussfolgerungen über die richtige Reaktion auf Berichte über ausländische Völkermorde zu rechtfertigen."
Der dritte Vortrag kommt von Joseph Ben Prestel, Historiker an der Freien Universität Berlin. Er beschreibt, wie sich die Verbindungen zwischen linken Gruppen in Deutschland und Palästinensern in den 1970er und frühen 1980er Jahren wandelten.
Die Vorträge
Die Vorträge in diesem Hörsaal heißen: "Selektive Annäherungen. Der bundesdeutsche Umgang mit Militärdiktaturen" von Frank Bösch, "Die Deutschen und die neuen Genozide: Kambodscha, Ruanda und Bosnien" von Andrew Port und "Politische Gewalt zwischen München und Beirut. Palästinenser und die radikale Linke in Westdeutschland, 1970–1982" von Joseph Ben Prestel. Die Redner haben sie auf dem Deutschen Historikertag 2021 in der Sektion "Lehren aus dem Nationalsozialismus? Die Deutschen und politische Gewalt außerhalb Europas" gehalten.